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Das erste Jahr
UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker
Stichwörter: Indigene Politik UN

Nach mehr als 20 Jahren Verhandlung war es vor einem Jahr so weit: Die indigenen Völker sollten der "Deklaration über die Rechte der indigenen Völker" zufolge künftig selbst über die Entwicklung ihrer Territorien, den Abbau von Rohstoffen, die Selbstverwaltung und ihre Gesundheitsprogramme entscheiden können. Für Landstriche, von denen sie einmal vertrieben wurden, steht den Ureinwohnern künftig Ersatz oder Ausgleich in anderer Form zu. Ihr eigenes Land darf grundsätzlich nicht für militärische Zwecke oder zur Entsorgung gefährlicher Stoffe missbraucht werden. Über seine Nutzung bestimmen ausschließlich sie. Die Deklaration sieht auch Schutz vor Diskriminierung vor.

Laut UN-Angaben beherbergen noch rund 70 Länder Urvölker mit eigener Sprache, Kultur, Tradition und Religion.

Ganz so schnell haben sich diese Neuigkeiten von der UN-Ebene anscheinend nicht herumgesprochen. Viel schneller hat beispielsweise der Agrofuel-Boom die letzten Winkel des Planeten erreicht und bereitet den Ureinwohnern in Ländern wie Indonesien oder Malaysien Probleme mit einer ganz neuen Dynamik, die sich vor fünf Jahren keiner vorzustellen gewagt hätte.

Claus Biegert, der lange Jahre den Kampf der Urvölker im speziellen Fall gegen die Folgen der Atomwirtschaft begleitet und dokumentiert hat, beschreibt das erste Jahr mit der UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Völker.

Volk oder Minderheit?

Vor einem Jahr wurde die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker verabschiedet - eine Bilanz von Claus Biegert, Süddeutsche Zeitung, 12.09.2008 Vor einem Jahr, am 13. September 2007, wurde in der Vollversammlung der Vereinten Nationen am East River in New York weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ein historischer Akt vollzogen. Die "Deklaration der Rechte indigener Völker" konnte an diesem Tag nach einem gescheiterten ersten Anlauf im Jahr zuvor die Mehrheit der Mitgliedsstaaten (129 von 144) hinter sich versammeln. Auf ein Jahr mehr oder weniger kam es den Indigenen nicht an, sie hatten Jahrhunderte an Kolonialismus hinter sich. Sie hatten sich Jahrzehnte geduldig in das Paragraphendickicht der Vereinten Nationen hineingearbeitet, sie hatten akzeptiert, dass sie den Erfolg ihrer Arbeit womöglich nicht mehr selbst erleben würden.

Tatsächlich sind nur mehr wenige jener Stammessprecher am Leben, die erstmals im September 1977 trommelnd und singend in das Palais des Nations in Genf eingezogen waren. Die Indianer der USA waren die Initiatoren jener UN-Konferenz über Rassismus, Landraub und Völkermord, die eine Woche lang Delegationen von Alaska bis zum Amazonas vereinte. Dahinter stand die Erkenntnis, dass auf dem Doppelkontinent Amerika nie eine Entkolonialisierung im Stile Afrikas stattgefunden hatte. Das erste Mal wurde der Holocaust in der Neuen Welt als solcher benannt; von Genf aus ging auch der Begriff des kulturellen Völkermords in den weltpolitischen Jargon ein.

Ihre Kultur war zuerst da

Die Konferenz katapultierte die indianischen Völker aus ihrem exotisch-romantischen Ghetto in die internationale Arena. Zwei junge Teilnehmer der Zusammenkunft spielen mittlerweile eine prominente Rolle in der indianischen Welt: Hugo Chavez, der als Präsident von Venezuela nie seine indianischen Wurzeln verleugnet hat; und Winona LaDuke, die zweimal neben Ralph Nader die Vizekandidatin für die Grünen im US-Präsidentschaftswahlkampf war und inzwischen als Symbolfigur für wirtschaftliche Autonomie in den Reservaten gilt.

Aus dem denkwürdigen Treffen entstand 1981 im Rahmen des Wirtschafts- und Sozialrats der UN eine internationale Arbeitsgruppe, um eine Deklaration aufzusetzen. Die Namensfindung offenbarte die Brisanz, die sich hinter den farbenprächtigen Erscheinungen der Stammesvölker verbarg: Waren sie Völker? Nationen? Die diplomatische Welt, plötzlich mit Namen und Gesichtern aus unbekannten Regionen konfrontiert, reagierte irritiert, verächtlich, feindselig: Minderheiten waren diese bunten Menschen, was sonst; im besten Falle gleichberechtigte Bürger.

Die Geschmähten hielten dagegen, dass ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Geschichte, ihre Schöpfungsmythen, ihre angestammten Territorien schon lange vor Ankunft der Kolonialmächte existiert hatten. Auch als Nicht-Staaten ohne politische Grenzen hätten sie das Anrecht, als Nationen anzutreten. Das Resultat langwieriger Diskussionen hinter den Kulissen war schließlich ein politisch korrekter Titel, der die Realität umschiffte: Working Group of Indigenous Populations - Arbeitsgruppe für indigene Bevölkerungsgruppen. Verständlich, dass die Betroffenen es heute als einen ganz besonderen Sieg feiern, dass die Deklaration nach über 25 Jahren zähen Ringens tatsächlich den Terminus "Indigenous Peoples"(Indigene Völker) im Namen trägt.

Dieser Kampf um Anerkennung der Weltgemeinschaft hat lange vor Beginn der Arbeitsgruppe begonnen. Als sich nach dem Ersten Weltkrieg in Genf der Völkerbund formierte, der Vorläufer der heutigen UN, schickte der Große Rat der Six Nations, der sechs Nationen der Irokesen, einen ihrer Häuptlinge nach Europa, um ihrer fast 800 Jahre alten Konföderation einen Platz in diesem neuen globalen Gremium zu sichern. Chief Desgaheh schaffte es, dafür die Fürsprache von Persien, Irland, Estland und Panama zu gewinnen. Doch Winston Churchill setzte die vier Regierungen unter Druck, und so zogen sie ihre Zustimmung zurück. Ohne je sein Anliegen der Vollversammlung vorgetragen zu haben, reiste Desgaheh 1923 ab. Diesen Kreis sahen die indianischen Aktivisten am 13. September 2007 sich schließen. Und sie sahen es nicht ohne Stolz, denn es sind die Ureinwohner beider Amerikas gewesen, die für die indigenen Nationen aller Erdteile die Tür zu den Vereinten Nationen geöffnet haben.

Australien, Neuseeland, Kanada und die USA stimmten gegen die Deklaration; elf Staaten - darunter Russland, Indien und China - enthielten sich. Es war ganz klar: Wer innerhalb seiner Staatsgrenzen Ureinwohner aufzuweisen hat, will diesen keine kollektiven Sonderrechte zukommen lassen. Denn längst lässt sich der Interessenkonflikt nicht mehr verbergen. Ob es um den Abbau von Bodenschätzen geht oder die Nutzung des Luftraums, um Energiegewinnung oder um touristische Erschließung - fast immer und immer häufiger führte der Weg durch oder in alte Stammesgebiete. Die Konfrontationen sind oft tödlich für die Schwächeren, von der weiträumigen Zerstörung der Natur ganz zu schweigen. Eine Empfehlung der Vereinten Nationen war also überfällig.

Mehr als eine Empfehlung ist die Deklaration nicht. Wer gegen sie verstößt, wird nicht vor den Sicherheitsrat zitiert. Anders sieht es mit der ILO-Konvention 169 aus: Diese - juristisch verbindliche - Regelung der ebenfalls in Genf ansässigen International Labour Organisation, die ebenfalls die Rechte indigener Nationen behandelt, haben jedoch erst 20 Staaten unterzeichnet. Ihre fehlende juristische Kraft gleicht die Deklaration mit moralischem Gewicht aus.

Dieses Gewicht macht sich bereits bemerkbar. Australiens Premier Kevin Rudd entschuldigte sich im Februar dieses Jahres bei den 450 000 Aborigines für den kulturellen Völkermord an ihren Kindern und verwandelte das Nein zur Deklaration in ein Ja. Zwei Monate später folgte der konservative Ministerpräsident Stephen Harper in Kanada mit einer ähnlichen Entschuldigung, nur das Ja steht noch aus, obgleich sich das Parlament bereits dafür ausgesprochen hat.

Evo Morales, Boliviens indianischer Präsident, wird weite Strecken der Erklärung in der Verfassung seines Landes verankern, das Parlament hat seine Zustimmung bereits gegeben - zum Schrecken der Oligarchie in den Ostprovinzen des Landes, die seitdem nach Autonomie rufen. In Peru, Venezuela und Grönland wird auch daran gearbeitet, die Verfassung zu erweitern.

In Japan wurden die Ainu, die mit rund 25 000 Angehörigen überwiegend auf der Insel Hokkaido leben, in einer Resolution des Paraments im Juni als "indigenes Volk" anerkannt. Demnächst wollen die Ainu Schadensersatz für gestohlenes Land einfordern.

Impulse für die Weltpolitik

Auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt, letzten Mai in Bonn, lieferte die Deklaration wegweisende Richtlinien für die Arbeitsgruppen, die sich mit Biopiraterie und intellektuellem Eigentum befassten. Entwicklungsministerin Heide Wieczoreck-Zeul kündigte an, die Deklaration künftig in die Projekte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) als auch in der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) einzubringen. Theo Rathgeber, lange Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und heute als Berater für Stiftungen und NGOs tätig, sieht Anzeichen, "wie die Deklaration dem internationalen Diskurs neue Impulse liefert".

Innerhalb der UN ist man auch nicht untätig. Ein Handbuch, Resource Kit genannt, wird seit kurzem im Internet angeboten und liefert das Rüstzeug für Politiker, deren Horizont bislang indigene Kulturen nicht erfasste. Am 1. Oktober wird der UN-Menschenrechtsrat in Genf erstmals einen sogenannten Expert Mechanism ins Amt einführen, um das mittlerweile in New York existierende Permanent Forum on Indigenous Issues (UNPFII) zu stärken.

Für die Mehrheit der indigenen Nationen - weltweit insgesamt über 350 Millionen Menschen - geht es natürlich weiterhin schlicht ums Überleben. Der Prozess der Globalisierung erlaubt keine Vielfalt der Kulturen. Und er erfordert den ungehinderten Zugriff auf die Ressourcen unserer Erde. Industrie und Konsumenten sind diese Themen weitgehend fremd geblieben. Beispiel Aluminium: Bauxit, der entscheidende Rohstoff für die Herstellung von Aluminium, kommt überwiegend aus Australien, Brasilien und Indien. Für jede Grube wurde indigener Lebensraum vernichtet.

Beispiel Atomstrom: Die herbeigeredete Renaissance der Kernkraft zur Rettung des Klimas entpuppt sich bei sorgfältiger Überprüfung als PR der Energiekonzerne. Die Darstellung der Atomkraft als "grüne" und "nachhaltige Energie" ist irreführend. Stets wird die Gewinnung des Rohstoffs Uran ignoriert. Selbst die Gegner der Kernkraft vergessen oft den Blick auf den Beginn der nuklearen Kette. Das Uran, das aus Kanada und Australien nach Europa geliefert wird, hinterlässt bereits eine Spur der Zerstörung, bevor es in unseren Reaktoren Strom erzeugt. Drei Viertel der Uranvorräte liegen unter indigenen Territorien und haben seit den vierziger Jahren auf allen Kontinenten indigene Kulturen zerstört. Strahlende Abraumhalden verseuchen Boden und Grundwasser; Haut- und Lungenkrebs, Leukämie und Missgeburten kennzeichnen die betroffenen Regionen. Die "UN-Deklaration für die Rechte indigener Völker" soll nun daran erinnern: Kernkraft verletzt Menschenrechte.

CLAUS BIEGERT
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.213, Freitag, den 12. September 2008 , Seite 16

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