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Ganz schön fad - oder doch genial?
The 100-Mile Diet
Stichwörter: Lebenswandel mitmachen

Man sollte der Süddeutschen Zeitung zwar auch nicht jedes Wort glauben, für nette Geschichten ist sie aber immer wieder gut zu haben. Heute zum Beispiel - auf der zweiten Seite des Wirtschaftsteils: Die 100-Meilen-Diät, eine Geschichte über ein Paar, das sich eine zeitlang ausschließlich von Nahrungsmitteln aus der Region ernährt hat.

Das ist sehr zeitgemäß. Wir sind gerade in der kleinen Konsumpause zwischen dem Weihnachtsfressen und vor den Silvesterpartys, können garantiert nichts Süßes mehr sehen und sehnen uns angesichts des versiebten Klimagipfels in Kopenhagen mit spannendem Ranzen nach der Nachhaltigkeit, die uns auch das nächste Jahr und Jahrzehnt noch erleben lässt. In der Stimmung ist es dann auch nicht gar so wichtig, dass das beschriebene Experiment schon vor zwei Jahren stattgefunden hat und die Geschichte ebensolang als Buch erhältlich ist - aber egal, mir war's bis heute unbekannt.

Regional Essen hört sich gut an, ist aber gar nicht so einfach. Wo kann man heutzutage noch ausschließlich in der Region erzeugte Nahrungsmittel kaufen. Allzuviel fällt einem da nicht ein. Kartoffeln vom Bauern? Aber da muss man im Herbst gleich einen dicken Vorrat kaufen. Manche kennen auch einen Bauernmarkt in der Nähe. Aber wann hat der auf?

Ähnlich ist es dem in der Süddeutschen Zeitung beschriebenen kanadischen Paar auch ergangen. Die ersten Wochen ihres einjährigen Abenteuers mussten sie gar hungern. So nach und nach haben sie dann ihr Essen gefunden und mehr schätzen gelernt als das Supermarktangebot von vorher.

Details über das Experiment gibt es auf www.100milediet.org (in Englisch).

Was die Süddeutsche darüber geschrieben hat, haben wir für InteressentInnen unten rein kopiert.



Die 100-Meilen-Diät
Alisa Smith und James MacKinnon lebten ein Jahr ausschließlich von Nahrungsmitteln, die in ihrem Umkreis wachsen

Von Bernadette Calonego

Auf dem Balkon der kleinen Stadtwohnung von Alisa Smith und James MacKinnon in Vancouver steht ein Topf. Darin ist Kohl, und er riecht penetrant. Selbstgemachtes Sauerkraut ist ein ungewöhnliches Hobby für ein urbanes kinderloses Paar mit anstrengenden Berufen. Aber Alisa und James, freie Autoren und beide Ende dreißig, ist kaum eine Konservierungsmethode fremd. Ein Jahr lang lebten die beiden Kanadier ausschließlich von Nahrungsmitteln, die in einem Radius von 100 Meilen von ihrer Wohnung wachsen. Ihr Buch "The 100-Mile Diet", das sie vor zwei Jahren über ihr radikales Experiment schrieben, wird auch heute noch in Nordamerika lebhaft diskutiert.

Alles begann mit einer Einsicht: "Alisa und ich saßen vor unseren Tellern", erzählt MacKinnon, "und wir hatten keine Ahnung, woher unser Essen stammt." Die beiden entdeckten, dass ihre Nahrung von ganz weither kam, obwohl es genügend davon in ihrer nahen Umgebung gab. Eine US-Studie informierte sie darüber, dass Lebensmittel in ihrem Supermarkt im Schnitt eine Distanz von 2400 bis 4800 Kilometer zurücklegen, was vor allem auf Kosten der Umwelt geht. Alisa und James fanden es verrückt, dass Produkte aus anderen Kontinenten in ihrem Laden billiger sind als örtliche Agrargüter. "Das ist nur möglich, weil der Preis für Benzin künstlich tief gehalten wird und weil die Herstellungskosten und Löhne in anderen Ländern soviel niedriger sind", sagt MacKinnon. Das Paar entschloss sich, örtliche Landwirte zu unterstützen und war auch überzeugt, gleichzeitig gesünder zu essen.

Sie fingen mit der 100-Meilen-Diät im April 2006 an, ohne sich darauf vorzubereiten. Sie hatten weder Kontakte zu örtlichen Farmern noch zu anderen Lieferanten. In den Läden fanden sie fast keine einheimische Nahrung. Am Anfang waren sie oft hungrig und verloren rapide an Gewicht. Sie dachten, ihr Essen würde sehr eintönig sein. Aber als sich der Sommer näherte, wurde ihre Speisekarte vielfältiger. Sie entdeckten die Bauernmärkte, besuchten Landwirte und Fischer an der Pazifikküste Kanadas.

Allerdings mussten sie sieben Monate ohne Mehl auskommen, was ihnen besonders schwer fiel. Dann aber erhielten sie einen Sack Getreide von einem Farmer auf Vancouver Island. Verzichten mussten sie auf Schokolade, Bier, Zitronen, Salz, Zucker, Schwarztee und Kaffee. Sie vermissten Dinge wie Reis und Olivenöl. Zu seinem Erstaunen kam MacKinnon aber gut ohne Bananen aus. Das Paar machte Früchte und Gemüse ein und lagerte Kartoffeln im Schlafzimmerschrank. Meeresfrüchte und Fische wurden wichtige Bestandteile ihrer "Diät". Knoblauch und Gemüse zogen sie in ihrem Schrebergarten, Tomaten, Bohnen und Kräuter auf dem Balkon. Anstelle von Zucker verwendeten sie Honig.

James ist der Koch im gemeinsamen Haushalt, und er begann, neue Rezepte zu kreieren. Das erste Essen für vier Personen kostete sie etwa 80 Euro, aber dann lernten sie zu sparen, weil sie in großen Mengen Saison-Produkte einkauften. "Unsere Kultur hat sich angewöhnt, dass Nahrung billig sein muss", erklärte Alisa Smith einmal, "aber dann geht man nach Hause und isst sie, und sie schmeckt nach nichts.

"Das Konservieren von frischen Lebensmitteln war zeitraubend. Aber das sei relativ, sagt MacKinnon: "Die meisten Menschen arbeiten heute mehr, um das Geld für Fertiggerichte zu haben." Im Laufe des Experiments wurde aus den Veganern - das sind Menschen, die den Konsum tierischer Produkte und die Nutztierhaltung ablehnen - Fleischesser. Sie fanden glückliche Hühner, aßen deren Eier und später auch Hühnchen. "Fleisch kann in einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Weise konsumiert werden", sagt MacKinnon. "Globaler Vegetarismus ist nicht unbedingt die beste Wahl." In ein Dilemma gerieten sie, als sie herausfanden, dass die Hühner zwar in der 100-Meilen-Zone leben, deren Futter jedoch aus der Nachbarprovinz Alberta stammte. Und woher kam der Dünger für andere lokale Nahrungsmittel? "An einem bestimmten Punkt mussten wir den gesunden Menschenverstand walten lassen", sagt MacKinnon. Ein weiteres Problem sei bei biologischen Produkten entstanden: "Sie können wie industrielle Nahrungsmittel weit, weit weg hergestellt werden." Große Schwierigkeiten bereitete ihnen auch ungenügende oder irreführende Angaben über die Herkunft der Esswaren in Supermärkten.

Ihren täglichen Kampf veröffentlichten Alisa Smith und James MacKinnon zunächst im Online-Magazin The Tyee in Vancouver. Das intensive Echo von Bloggern weckte das Interesse von Verlegern. Das Buch wurde auch in den USA veröffentlicht und in großen Zeitungen diskutiert. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass das Konsumieren von einheimischer Nahrung besser ist", schrieb The New York Times. "Aber es gibt einem das Gefühl, dass man mehr Kontrolle darüber hat, was man dem Körper zuführt." Und in der kanadischen Zeitung The Vancouver Sun kritisierte der Journalist Miro Cernetig, dass die 100-Meilen-Diät zu weit gehen könne: "Es wird den armen Bauern in den härtesten Gegenden der Welt schaden."

Doch James MacKinnon entgegnet, dass es zum Beispiel auch in Ländern wie Indonesien oder Bolivien sinnvoll sei, eine starke regionale Nahrungsmittelversorgung zu haben. Der westliche Hunger nach einer riesigen Vielfalt von Esswaren habe das lokale Nahrungsnetz an vielen Orten in der Dritten Welt zerstört. Aber, so räumt er ein, "daneben gibt es auch Platz für den globalen Handel." Am Tag, als das Jahr der 100-Meilen-Diät zu Ende ging, besuchten Alisa und James ein indisches Restaurant. Aber danach sind sie nicht einfach zu der konventionellen Nahrung zurückgekehrt. Etwa 90 Prozent ihres Essens sind laut MacKinnon immer noch Produkte aus der 100-Meilen-Zone: "Die Qualität ist besser, wir nehmen mehr Nährstoffe auf und sind nicht immer so hungrig." Er rät Interessierten, ganz simpel zu beginnen, zum Beispiel mit Äpfeln aus der Gegend: "Wir haben nie gesagt, dass alle Leute zu jeder Zeit örtliche Nahrungsmittel essen sollten." Es gehe eher darum, das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Bildunterschrift: Alisa Smith und James MacKinnon wurden durch eine Studie aufgeschreckt. Darin stand, dass die Lebensmittel in ihrem Supermarkt eine Distanz von 2400 bis 4800 Kilometer zurücklegten. Alisa und James fanden das verrückt und begannen, sich mit Produkten aus der Umgebung zu versorgen.

"Nahbereich-Esser"

In Nordamerika nennt man Leute, die Nahrung aus ihrer nahen Umgebung bevorzugen, Locavores. Das Wort wurde von dem New Oxford American Dictionary zum Wort des Jahres 2007 gewählt.

Locavores wollen die regionale Nahrungsmittelversorgung stärken und damit den Umweltschutz und das Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten. Lokale Nahrungsmittelnetze können je nach Gegend einen Radius von 150 bis 300 Kilometer umfassen. Die Bewegung der "Nahbereich-Esser" hat an vielen Orten die Zahl von Bauernmärkten markant steigen lassen, die nicht nur im Sommer, sondern zunehmend auch im Winter stattfinden.

Locavores beziehen sich auf Mahner wie den Amerikaner Rich Pirog, den Leiter des Nahrungsmittelprogramms des Leopold Centers in Iowa. Laut einer seiner Studien verbraucht der nationale Transport von Esswaren siebzehnmal mehr Benzin als ein regionaler Nahrungsmittelvertrieb. Laut Pirog wurden im Jahr 1970 nur 21 Prozent der frischen Früchte in den USA importiert. Im Jahr 2001 war die Zahl fast doppelt so hoch.

Locavores halten die Nahrung aus ihrem Nahbereich auch für sicherer. Im Buch "The 100-Mile Diet" schreiben Alisa Smith und James MacKinnon: "300 000 Amerikaner kommen jedes Jahr ins Krankenhaus wegen der Nahrung, die sie essen". Und ein Drittel der Kanadier werde im Laufe des Jahres eine von ihrer Nahrung ausgelöste Krankheit erleiden. bca

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Montag, den 28. Dezember 2009

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