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Gedankensplitter: Spaziergang zum deutschen WaldStichwörter: Waldbewirtschaftung Reflexion

Die Bewirtschaftung ihrer Ressourcen spiegelt das Verständnis einer Gesellschaft wider, mit dem sie ihrer Umwelt und sich selbst begegnet. Wer Wald weitestgehend Natur sein lassen kann, der traut natürlichen Dynamiken ausreichend Intelligenz, Selbstheilungskräfte und Produktivität zu und lässt ihr möglichst freie Bahn. Der Gegenentwurf meint, das System durch gezielte Eingriffe auch langfristig zu höheren Erträgen anhalten zu können, ihm seine Vorstellung auferlegen zu müssen. Ob Vertreter dieser eher gestaltenden Zunft auch vermehrt Uniform tragen und so Autorität über Wald und Produktionsabläufe anziehen, das müsste man einmal untersuchen.

Fest steht: beide Lager können nicht miteinander und streiten um den besseren Umgang mit Wald, der bekanntermaßen mehr darstellt als die Summe aller Bäume, die ihn ausmachen ... während es dem Wald irgendwie egal ist, wie sich der Mensch an ihm abmüht. Der Wald in unseren Breiten wächst, fällt um, stirbt, verändert sich klimabedingt oder auch nicht.

Karin Steinberger von der Süddeutschen Zeitung hat sich aufgemacht und einige Momentaufnahmen aus dem deutschen Wald zusammengetragen.

Finger weg

Was darf rein, was nicht? Was ist ein guter Baum, was ein böser? Der deutsche Wald als Wille und Vorstellung. Ein Spaziergang
Von Karin Steinberger

Klar ist: Der Wald hat Zeit. So eine Eiche fängt mit 100 Jahren erst richtig an. Da baut der Mensch langsam ab. Auch der Förster.

Klar ist auch: Der Wald wächst, er wächst seit Jahrmillionen. Er hat Eiszeiten überstanden, Wärmezeiten.

Aber er wächst nicht richtig, nicht gewinnmaximierend, sagt der Mensch und fuhrwerkt im Wald herum. In einem von Menschen gepflegten Wald hat jeder Baum eine Bestimmung, jeder hat einen Namen. Es gibt Turbobäume, Totholzbäume, Biotopbäume, Pionierbäume, Zukunftsbäume, Mutterbäume. Ein guter Baum ist makellos, lang, gerade, astfrei, furnierfähig. Er muss einen Zieldurchmesser und ein Zielalter erreichen, sonst ist er ein böser Baum und kommt raus aus dem Wald.

Ein böser Baum ist krumm, eigenwillig, wie von Caspar David Friedrich gemalt. Es ist ein Baum, der Probleme macht im Bandsägewerk.

Es gibt Dinge im vom Menschen bewirtschafteten Wald, die kein Mensch versteht. Die Förster tun alles dafür, dass ja keine Buche zu groß und zu alt wird, damit sich nicht der Kern des Stamms rötlich färbt. Weil die Holzindustrie für Rotkern nur Schrottpreise zahlt. Die Händler lachen sich tot. Im Laden kostet Rotkern dann ein Vermögen.

Es gibt Streit im Wald. Eigentlich immer. Was ist nachhaltig? Was ist naturnah? Was ist ein guter Wald? Was ist gut für den Wald? Momentan zanken alle um ein paar Nadelbäumchen, die tun, was Pflanzen tun: wachsen. Pseudotsuga menziesii, die in Nordamerika heimische Douglasie, im Spessart gepflanzt. Ein 'Fremdländer' - mit dem Begriff fängt es ja schon an.

Spessart also, Forstbetrieb Rothenbuch, Jann Oetting steht da wie in den Wald retouchiert, Ton in Ton mit der Natur. Er ist Forstbetriebsleiter im Forstbetrieb Rothenbuch, relativ jung, relativ genervt von den Umweltschützern, die sein Revier befallen haben wie Borkenkäfer eine geschwächte Kiefer. Vor Oetting steht eine Douglasie im Wald - winzig, hellgrün, leicht nach Orange duftend. 'Da ist der Skandal', sagt er und schaut runter, fast mitleidig.

Die Douglasie ist klein, aber sie wird wachsen, schneller als vieles andere im Wald. Deswegen steht sie hier. Weil sie Holz produziert wie der Teufel. Oetting sagt: 'Es ist eine interessante Baumart, die wir aber nur truppweise beimischen.'

Sie haben auch hier in der Abteilung Langgrund die Douglasie truppweise beigemischt. Um das 'Betriebsrisiko zu minimieren'. Es gibt das Ulmensterben, das Erlensterben, das Eschentriebsterben. Jede Baumart kann ausfallen. Deswegen mischen sie hier vier verschiedene Baumarten in jeden Waldbestand. Über Oetting rauschen Buchen, 150 Jahre alt.

Sie bauen sich ihren Wald nach ihren Vorstellungen. Sie haben eine Planungsabteilung, die Pflanzziele festlegt, sie arbeiten mit Standortkarten, kennen die Baumartenempfehlungen der Klima-Risiko-Karten und richten sich nach Klimahüllen, die zeigen, wie Baumarten die Klimaspanne, die auf sie zukommen wird, überstehen werden. Sie mischen 'Fremdländer' bei. Und die Eiche verjüngen sie nach alt bewährtem Verfahren. Sie räumen Flächen frei, pflanzen Eicheln, zäunen alles ein. Und dann hauen sie 100 oder 200 Jahre lang alles weg, was die Eichen kaputtwachsen könnte. Die Eiche ist langsam, hungrig nach Licht. Viele können sie kaputtwachsen. Also müssen viele weg.

Eichenverjüngung ist Kahlschlag, sagen die Umweltschützer, da werden Flächen gerodet, abgeräumt, wie ein Acker. 'Wer zur Eiche steht, der muss ihr ausreichend Licht geben', sagt Oetting.

In Rothenbuch gehen die Förster durch den Wald, binden rote Bändchen an ihre Zukunftsbäume, stellen sie frei, hauen Bedränger weg, machen Licht, damit die von ihnen erwählte Elite schneller wächst. Die Natur soll sich selbst überholen, 20 Jahre einsparen. Der Mensch bestimmt, was, wann, wo, wie dicht wachsen darf. Der Mensch bereitet den Wald auf eine Zukunft vor, die er selber nicht kennt.

Im Dezember 2011 kam dann eine Mail von Greenpeace. Eine Waldbegehung, es klang harmlos.

Stundenlang sei man zusammen durch den Spessart gelaufen, durch prächtige, alte Buchenwälder, habe diskutiert, konstruktiv diskutiert, sagt Jann Oetting. 'Wir haben auch Lob erhalten. Und zwei Wochen später schlagen sie ihr Camp hier auf und werfen uns Waldvernichtung vor.' Er beugt sich runter zu der kleinen Douglasie, zerreibt ein paar Nadeln, riecht daran, sagt ohne ein Lächeln: 'Für den Rehbock ist das wie Chanel N{ 5.'

Seitdem kriegt Oetting die Naturschützer nicht mehr los. Sie sind mit Vermessungsgeräten und GPS-Empfängern herumgerannt und haben auf 400 Hektar alle ökologisch wertvollen Bäume erfasst. Sie sagen: Bayern hat eine ganz besondere Verantwortung, weil es die größten Buchenwaldflächen hat. Sie sagen, dass nur noch zwei bis drei Prozent der Wälder Deutschlands so aussehen wie der Wald im Langgrund. Sie fragen, warum müsst ihr diese kleinen, weichen, nach Orange duftenden Bäume gerade hier pflanzen?

Oetting schaut jetzt so, wie ein Rehbock schaut, kurz bevor er abgeschossen wird. Arglos. So ganz begreift er nicht, was das Problem ist. Was soll falsch sein an dem 'integrativen Konzept' der deutschen Forstwirtschaft, an der Idee zu schützen und zu nützen auf selber Fläche. Er zeigt rein in den Wald, auf das viele Totholz, das herumliegt. Vorbildlich viel. Dann fällt ihm noch etwas ein: 'Für mich ist dieser Käseglockenansatz echt neokolonial. Bei uns Flächen unter die Käseglocke stecken und das Holz aus fernen Ländern importieren.'

Am 10. April gruben die Aktivisten 1967 Douglasien-Setzlinge aus, pflanzten stattdessen junge Buchen und stellten dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in München die ausgegrabenen 'Fremdländer' vor die Tür. Einzeln eingetopft.

Greenpeace propagiere 'Rassismus im Wald', polterte der ehemalige Forstdirektor Eberhard Sinner (CSU).

'Sie haben sie nicht ausgegraben, sondern ausgerissen', sagt Jann Oetting.

Er weiß ja auch, dass Fehler gemacht wurden, ein paar der Douglasientrupps seien ein bisschen zu groß geworden, und ein Kollege sei über die Grenze gerutscht und habe Douglasien in Klasse-1-Wälder gepflanzt, in mehr als 180 Jahre alte Buchenbestände, Wälder, in denen sie überhaupt nicht mehr eingreifen sollen. Keine Pflege, keine Pflanzung, kein Holzeinschlag.

Aber man müsse die Dimensionen sehen, 17286 Hektar hat der Forstbetrieb. Und die Fehler, die seien auf 0,5 Hektar passiert. Und überhaupt sei es doch wie beim Fleisch, jeder wolle das Schnitzel, aber keiner will die Schlachtung sehen. Holz mag auch jeder, aber wie der Baum gefällt wird, das wird ausgeblendet.

Am Forstweg stehen Waldarbeiter. Sie zählen das eingeschlagene Holz. Sie machen Inventur, wie im Supermarkt. Einer sagt: 'Zeig" der Dame mal die bösen Douglasien, wenn es wunderschöne Bäume geworden sind. Das ist doch alles haltlos.'

Jann Oetting sagt: 'Dieser Wald ist menschengeformt und von uns Förstern gemacht. Und jetzt muss man den Wald auf einmal vor dem Förster schützen?'

Gesche Jürgens sagt: 'In Lübeck versuchen Förster, den Wald so zu bewirtschaften, dass er es gar nicht merkt.'

Kurz danach steht Gesche Jürgens in Oettings Buchenwald, Abteilung Langgrund. Sie ist seit 2011 Waldkampaignerin bei Greenpeace, noch nicht lange, aber lange genug, um den Fremdkörper zu erkennen. Sie schaut runter auf eine Douglasie - winzig, hellgrün, nach Orange duftend. Sie fasst die Nadeln an: 'Eigentlich ein schöner Baum. Schön weich.' Irgendwo weit oben in den Buchen singt ein Vogel, sie schaut hoch: 'Wenn man jetzt ein Spezialist für Vogelstimmen wäre.' - 'Buchfink', sagt der Mann neben ihr, Michael Kunkel vom Bund Naturschutz, Ortsgruppe Heigenbrücken. Im Forstamt Rothenbuch nennen sie ihn den 'Extremisten'.

Michael Kunkel rennt durch den Wald. Er sucht Douglasien. Und er findet sie, hier eine, da eine, truppweise. Überall, wo Licht ist, weil eine Buche gefällt wurde. Kunkel sagt: 'Dieser Trend mit den Douglasien, die sie in die alten Buchenwälder reinpflanzen, der läuft seit zwei Jahren. Das ist die neue Masche. Die wollen alles in Mischwälder umbauen. Nur nichts übrig lassen, keinen reinen, natürlichen Buchenwald.'

Gesche Jürgens stapft hinter Michael Kunkel her. Kunkel schreit: 'Da, wieder eine.' Sie sagt: 'Wir haben die Kampagne auch deswegen angefangen, weil Bayern sich geweigert hat, für ein bundesdeutsches Forschungsvorhaben Daten rauszurücken.' Für ein Forschungsvorhaben, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, um nachzusehen, wie es aussieht mit der Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie, die 2007 im Bundeskabinett verabschiedet wurde. Das erklärte Ziel: Bis 2020 zehn Prozent des öffentlichen Waldes aus der forstlichen Nutzung nehmen.

Gesche Jürgens sagt, es sei doch erbärmlich, dass Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, dieser Verantwortung nicht nachkomme.

'Da, wieder eine', schreit Kunkel. Gesche Jürgens schaut runter auf die weichen Nadeln: 'Es hieß ja, die Douglasie wird nicht von Schädlingen befallen. Aber jetzt kommen die ersten. Wie beim Computer, da hieß es auch immer, dass der Mac keine Viren bekommt. Das ist vorbei.' Kunkel schreit: 'Dass die Deutschen nicht bereit sind, solche Flächen zu dulden, ohne darin rumzupfuschen.'

Zu was sind die Deutschen also bereit in ihrem Bürgerwald?

Klar ist, fast jeder Bürger möchte den Wald schützen, wenn man ihn fragt.

Klar ist auch, fast jeder wird sich Holz rausholen aus dem Wald, wenn er darf.

Und: Wenn es Katastrophen wie die Pest oder den Dreißigjährigen Krieg nicht gegeben hätte, als ganze Gegenden entvölkert wurden, wäre der deutsche Wald schon lange kollabiert. Ende des 18. Jahrhunderts merkten die Deutschen, dass kaum noch was da war. Der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz erkannte 1713: Man sollte nicht mehr aus dem Wald rausholen, als nachwächst.

Daran zweifelt keiner mehr. Aber Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff.

Es gibt Forstwege, die aussehen wie die Transamazonica. Es gibt private Waldbesitzer, die noch immer auf die Fichte schwören. Und es gibt Förster, die einiges anders machen würden, wenn man sie ließe.

Franz Zwick, Förster im Pfälzerwald, Forstrevier Mühlenberg, staunt manchmal selber, wenn er durch sein Revier geht. Zukunftsbäume werden koloriert, zu entnehmende Bäume werden koloriert, Biotopbäume werden koloriert, Rückegassen werden koloriert. Fast jeder Baum ist gezeichnet. Er spaziert in seinen Wald hinein und sagt: 'Das sind die zwei Extreme. Reine Forstwirtschaft, wo der Mammon das Wichtigste ist. Oder nix machen, gar nix. Und das Klopapier, das wir brauchen, holen wir uns aus der Taiga, aus den Urwäldern. Das ist noch viel schlimmer. Ich versuche mich im Zickzack zwischen diesen zwei Leitplanken entlangzuhangeln.'

Das Gute ist: Der deutsche Wald wächst, allerdings nicht so, wie er mag, sonst wäre das Land voller Buchenwälder. In die Reparationshiebe der Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg pflanzte man flächendeckend Fichte, der Samen war billig. Und sie wuchs: grade, hoch, schnell. Der Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft, hieß es. Bis 1990 der Orkan Vivian kam, dann der Orkan Wiebke. 70 bis 80 Millionen Festmeter Sturmholz, Preisverfall.

Ganze Forste lagen flach. Bevor der Mensch das Desaster im Menschenwald aufräumen konnte, brachte die Natur selber gemischte, stabile Wälder hervor.

Lutz Fähser steht im Stadtwald Lübeck, sein Hund Kara steht bei ihm wie ein Schatten. Fähser sagt: 'Wir schlagen immer hinter den Fehlern unserer Vorgänger her. Erst sterben die blöden Fichten, dann der Pappelwahn, dann heißt es, die Birke stört, die eigentlich die Amme des Buchenwalds ist. Das sind nie Fehler, die die Natur gemacht hat.' Fähser ist seit 2010 im Ruhestand, trotzdem kommen ständig Menschen hierher, um von ihm zu hören, wie man das macht: nichts machen.

Er stapft durch seinen Wald, der anders ist als Oettings Wald. Er hat einfach mehr Bäume, viel mehr Bäume. Es sieht aus, als hätte man zwei Wälder übereinandergelegt. Der Boden ist überzogen mit Waldmeister. Fähser sagt: 'Ich könnte hier jauchzen, diese wunderbare, enge Verjüngung, kerzengerade. Das ist natürliche Waldwirtschaft.' Die These der meisten Professoren an den Unis ist, dass ein Wald, der nicht vom Menschen geformt wird, zusammenbricht. Fähser sagt, Professoren kommen nicht gerne in seinen Wald. Wahrscheinlich, weil er nicht zusammenbricht.

Er zeigt auf ein paar Douglasien mitten im Buchenwald, 100 Jahre alt. Er stellt sich breitbeinig hin, misst einen Meter mal einen Meter. 'Gucken wir mal, was sich hier verjüngt. Ahorn, Ahorn, Buche, Ahorn, mindestens zehn Bäumchen auf einem Quadratmeter. Das ist das wunderbare Startkapital, das die Natur uns bietet. Warum sollten wir uns da einmischen?' Es gibt Referenzflächen in diesem Wald, auf denen seit Jahrzehnten nichts gemacht wurde. Es wird nichts rausgehauen, nichts gepflanzt. Man schaut, was passiert. Und man sieht: Eine stolzer Fichtenwald, nicht mehr behütet, den wirft die Natur hier raus.

Einen Douglasientrupp auch.

Lutz Fähser war damals dabei beim Waldspaziergang im Spessart. Er sieht sich als eine Art 'backstopper' von Greenpeace. Aber angefangen hat er auch mal als Diplomforstwirt. Alles Mögliche hat er gepflanzt als junger Förster, dann ist es vertrocknet, dann musste man es einzäunen, man musste Gras mähen, Bäume raushauen. Irgendwann dachte er sich: Was soll das? Wir wollen Holz, der Wald produziert Holz, und zwar schon sehr viel länger als der Mensch. Die Natur zu verdächtigen, dass sie nicht kann, was sie selber eingeführt hat? 'Das ist schon Hybris', sagt Lutz Fähser und tätschelt den Hund.

Er hat das System hinterfragt. Nur weil man es schon immer so macht, muss es ja nicht richtig sein. 1994 veröffentlichte er sein Konzept der 'Naturnahen Waldnutzung'. Es ist erstaunlich simpel. Erstens: Nichts ist langfristig produktiver und risikoärmer als die natürliche Waldgesellschaft. Zweitens: Man darf das Ökosystem nicht überfordern. Drittens: minimaler Einsatz. Im Stadtwald Lübeck greift ein Förster möglichst wenig ein. Für die meisten Kollegen war das eine Kampfansage.

Lutz Fähser hat kein Problem damit. Im Gegenteil, er ist gerne unbequem. Er sagt: 'Die Forstausbildung gründet sich auf die Hypothese, die Natur ist dumm. Und ich bin besser als die Natur, so bin ich auch ausgebildet worden. Der Ansatz ist: Wie kann man möglichst schnell möglichst viel Holz machen. Das ist, als würde ein Arzt sagen, ich bin zuständig für die Bestattung. Wir Förster sind aber primär für das Leben zuständig, nicht für das Holz.'

Er schaut hinein in seinen Wald, den er geformt hat, indem er ihn nicht geformt hat. Das Waldsystem hat sich über Jahrtausende zurechtgerüttelt, jeder hat da seinen Platz, seine Aufgabe, wie in einer Dorfgemeinschaft. 'Wenn man da eine Douglasie reinpflanzt, bedeutet das Stress, Unruhe. Es dauert 1000 Jahre, bis sie vom System eingenischt wird', sagt Lutz Fähser. Erst dann werden ihre Nadeln gut zersetzt, erst dann akzeptieren sie die Vögel, die Mikroorganismen, die Pilze, die Viren, die Bakterien, die Kleinstlebewesen. 1000 Jahre.

Die Douglasie ist seit 130 Jahren da.

Und das Geld? Darum geht es doch.

Er hat sich durchgerechnet, was dieses ewige Eingreifen eigentlich kostet. So viel Kraft und Geld, um gegen das natürliche System anzuarbeiten. 'Betriebswirtschaftlich gesehen ein Witz', sagt Fähser.

Klar ist: Im Wald kann man keine doppelten Schichten fahren. Ein hoher Input bringt nicht zwangsläufig einen hohen Output. Im Gegenteil, ein Wald, den man zu sehr puscht, kollabiert.

Klar ist auch: Irgendwo in Mittelschweden steht eine vom Wind zerrupfte Fichte, eher kümmerlich. Aber sie steht da schon ziemlich lange. Die Wurzeln, aus denen sie entsprungen ist, sollen 955o Jahre alt sein. Es gibt nur wenig Fotos von ihr, keinen genauen Standort. Irgendjemand wird sich wohl gedacht haben, es ist besser, wenn der Mensch ihr nicht zu nahe kommt.

Quelle Süddeutsche Zeitung, Seite 3
Datum Samstag, den 28. Juli 2012

Kommentare

# waldschrad am 08.08.2012, 20:02

Die Aktion von Greenpeace war/ist wertvoll! Schaut mal was im Forest Guardians Blog von eva_m am 18.06.11 unter der Überschrift: "Das Verhältnis zwischen Mensch und Wald" geschrieben wurde. Tenor: wir alle verbrauchen unsere Wälder schon seit langem.Gruß Andreas

# Bettina Wunderblume am 11.02.2017, 23:10

Wunderbar !

Herzlichen Dank für diesen guten Beitrag!
Lutz Fähsers Erkenntnis sind Gold wert und
es wäre so wichtig , dass gerade in Süddeutschland, wo es kaum noch natürlichen Wald gibt ( die Leute kennen ja gar keinen mehr)möglichst viele Waldbesitzer davon erführen.
Es tut sehr weh, diese " Wälder" zu sehen , schwäbisch wird es oft auch so genannt in Karten , nämlich "Gehau"....

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