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Kopenhagen-Verschwörungstheorie
Alles nur eine abgekartete Show?
Stichwörter: Politik Klimawandel Kritik

Die Financial Times Deutschland druckte gestern den Beitrag Die große Klima-Show, der die Kopenhagen-Konferenz und die mühevollen Auseinandersetzungen dort in einem etwas anderen Licht dastehen lässt.

Demnach veranstalten die Unterhändler ein dramatisches Theater was auf ein Scheitern hinauszulaufen droht, um dann eine längst auf Regierungschef-Ebene ausgehandelte eher klimaschädliche 'Einigung' als Erfolg verkaufen zu können.

Mal sehen, was uns die nächsten Stunden/Tage tatsächlich bringen ...


Die große Klima-Show

Hermann Ott ist seit 1995 immer dabei, wenn über das Klima verhandelt wird. Mal als Wissenschaftler, mal als Berater, mal als Aktivist - und jetzt in Kopenhagen als Politiker. Eigentlich dachte Ott, er habe alles schon mal erlebt. Er hat sich geirrt.

von Nikolai Fichtner, Kopenhagen

Wahrscheinlich sagt das Gesicht von Hermann Ott mehr aus über den Stand der Klimaverhandlungen als alle Nachrichtenagenturen zusammen. Es gibt zwei in dieser Woche, ein sehr waches und ein rötliches, leicht resigniertes. Zwischen beiden Gesichtern liegt eine Nachricht, die er eigentlich nicht erfahren durfte.

Das erste Gesicht ist von Montag, dem ersten Tag der entscheidenden Verhandlungswoche. Ott hat es durch die Massen vor dem Bella Center geschafft. Er hat die Flachbildschirme studiert, die Hunderte Termine, Veranstaltungen oder Pressekonferenzen ankündigen. Jetzt schaut er aus einem der oberen Stockwerke auf das Gewusel da unten: 15.000 Menschen, Diplomaten, Wissenschaftler, Aktivisten. Die Klimafamilie ist groß geworden. Ott sagt: "So etwas habe ich noch nicht erlebt." Dabei hat der 48-Jährige schon alles erlebt, was man bei Klimaverhandlungen erleben kann.

In diesem Moment muss Ott an die Party denken, vor 14 Jahren in Berlin. Es war die erste "Konferenz der Vertragsstaaten", "COP 1", wie sie in dieser Familie sagen. 30 Wissenschaftler und Aktivisten waren da, er hat sie damals durch Kreuzberg geführt, von Bar zu Bar. "Eine gute Party", sagt Ott.

Die Party wurde mit der Zeit zur Institution, immer am Wochenende vor der Entscheidung. In Kopenhagen haben sie einen Klub gemietet, fünf Floors, 2000 Leute, aber man kannte sich nicht mehr. Ott ist früh zurück ins Hotel gefahren.

Seit 1995 war Hermann Ott immer dabei, wenn über das Klima verhandelt wurde, von COP1 bis COP 15 jetzt in Kopenhagen. Mal als Wissenschaftler, mal als Regierungsberater, mal als Aktivist, jetzt als Parlamentarier für die Grünen. Ott hat das Standardwerk zum Kioto-Protokoll geschrieben, jeder neue Klimadiplomat muss es lesen, wenn er bei der Uno anfängt. Er hat erlebt, wie der Klimaschutz aus der Wissenschaft in die Weltpolitik aufstieg, wie ein kleines Thema groß wurde - so groß, dass es jetzt an seiner Größe scheitern könnte. So groß, dass der Gipfel, der es behandeln soll, jetzt dabei ist, sich neu zu erfinden.Die Verhandlungen sind so komplex geworden, dass keiner mehr den Überblick behalten kann, schon gar kein Politiker. Ott selbst konnte das früher. "Heute brauche ich mindestens 20 gute Leute dafür", sagt er. Es geht ja nicht nur um Klimaschutz, sondern um Exportförderung, Wettbewerb, Entwicklungshilfe, Sicherheitspolitik und um viele Milliarden, also auch um Haushaltspolitik. Es geht um Dinge, die Umweltminister nicht mehr entscheiden können, sondern höchstens die Regierungschefs.

Und die haben längst die Kontrolle übernommen. Aber die meisten Unterhändler ahnen das Montag noch nicht, auch Ott nicht. An diesem Tag sitzt Ott bei einer Besprechung der deutschen Delegation, es geht um die Verhandlungsstrategie. Eine neue Staatssekretärin, ein Klimafrischling, lobt die Strategie, bis zum Schluss ein paar Karten auf der Hand zu haben, um Bewegung bei den anderen zu erzwingen. Ott hat lange geschwiegen, aber jetzt wird er so laut, dass man seine Stimme auch außerhalb des Delegationsbüros hören kann. "Das ist alte Diplomatie", ruft Ott, "aus dem finstersten 20. Jahrhundert." Das Pokerspiel schade dem Klimaschutz nur.

Ott hat viel zu den Spielregeln der Klimapolitik geforscht und erkannt: Es ist kein Nullsummenspiel. Alle gewinnen oder alle verlieren gemeinsam. "Früher dachte man: Wenn die Aliens kommen, wird sich die Menschheit verbünden. Heute ist die Bedrohung längst unter uns. Das verändert die Spielregeln." Der Klimaveteran glaubt, dass es nichts bringe, wenn man seine Zusagen bis zum Schluss zurückhält, so wie China, die USA und auch Europa es in Kopenhagen tun. Weil es darum gehe, Vertrauen aufzubauen für gemeinsames Handeln.

Ott sagt oft, dass es ihm "um die Sache geht". Man kann das glauben. Er redet gern in der Öffentlichkeit, aber er spielt sich nicht auf, braucht keine großen Worte oder Schachtelsätze. "Die Sache" ist ja auch so groß genug, da bleibt für Eitelkeit keine Zeit.Begonnen hat er als Jurist. Aber geltende Paragrafen zu interpretieren war ihm zu langweilig. Ott wollte neue entwickeln. Darum promovierte er in internationalem Umweltrecht, als das noch im Entstehen war. In den frühen 90ern gab es in Deutschland nur fünf Jobs in dem Bereich. Er bekam den sechsten, beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Es war eine Zeit, in der sich Umweltschützer noch mit dem Feuchtbiotop in der Nachbarschaft beschäftigten und Juristen warteten, bis ein Gesetz im Bundesgesetzblatt erschien.

Seitdem hat sich viel verändert. Die Wissenschaftler haben irgendwann gemerkt, dass sie die Verhandlungen beeinflussen können, sie haben sich Anzüge gekauft und begonnen, Vertragsentwürfe zu schreiben, als Hilfe für die Delegierten. Aktivisten haben weltweite Netzwerke geknüpft und gelernt, globale Kompromisse zu schließen.

Diplomaten haben sich in unzähligen Vorkonferenzen rund um die Welt kennengelernt und wissen, wem sie vertrauen können. Dann kam das Internet und machte, sagt Ott, den Erfolg erst möglich. Das Internet schafft die schnelle globale Öffentlichkeit, die die Diplomaten brauchen, um den nötigen Druck zu spüren.

So erlebte es Ott, als 1997 in Kioto erstmals internetfähige Computer im Verhandlungszentrum standen. Er war als Berater von Umweltministerin Angela Merkel dabei. Die Verhandlungen stockten, auch weil es Missverständnisse zwischen der EU und Japan gab. Ott konnte Merkel die japanischen Bedenken erklären - und er nutzte gleichzeitig seine Kontakte zur japanischen Delegation. "Das hat geholfen", sagt Ott, und er ist auch ein bisschen stolz auf seine Spuren in der Verhandlungsgeschichte.

Dazu kommt die Dramaturgie, der menschliche Faktor. So wie in der letzten Nacht von Kioto, 20 Stunden nach dem offiziellen Verhandlungsende, es war Ott aufregendstes COP-Erlebnis - auch sein bislang schönstes: Alle sind übermüdet, als der Verhandlungsführer, der Argentinier Raúl Estrada, das Abschlussplenum in einen kleineren Raum verlegt. Es ist eng, der Druck ist spürbar. Estrada hat auch Kameras in den Raum gelassen, und er hat, vielleicht mit Absicht, sein Mikrofon offen gelassen und erzeugt mit dem penetranten Klicken seines Kugelschreibers so viel Stress, dass am Ende eine Einigung steht. Es ist der erste verbindliche Klimavertrag - und bislang der einzige. Diese Erfahrung lehrt, dass Klimaverhandlungen nur mit einer Choreografie aus Müdigkeit, Stress und öffentlichem Druck zum Erfolg werden können. So war es jedenfalls bisher. Bevor die Regierungschefs kamen.

In Kopenhagen könnte es so sein, dass Müdigkeit, Stress und Druck nicht dem Abkommen dienen, sondern nur noch der Inszenierung. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man Ott am Mittwoch beobachtet. Er sitzt an einem Tisch im Konferenzzentrum, vor sich hat er einen Laptop, er empfängt Twitter-Nachrichten aus den Verhandlungen.

Beim Reingehen hat Ott die Massen von Aktivisten gesehen, die draußen bleiben müssen, weil ihre Zahl aus Sicherheitsgründen beschränkt wurde. Er hat drinnen die Aktivisten gesehen, die gegen den Ausschluss der anderen demonstriert haben und dann selbst ausgeschlossen wurden. Ott findet, dass dies "der Beginn einer neuen Ära" sei. Das Ende des bunten Treibens, das die Verhandlungen oft angetrieben hat, das Ende der alten Klimafamilie. "Das ist jetzt Weltpolitik, eine Art G192", sagt Ott. Wenn die Staatschefs das Thema an sich reißen, haben die Aktivisten keinen Platz mehr. Die Aussperrung an diesem Tag wäre ein Präzedenzfall für die Zukunft, eine Zukunft voller verschlossener Türen.

Ott ist dann gestern weiter durch die Gänge und Hallen gelaufen und hat dabei mit Diplomaten gesprochen, die er schon lange kennt. Einer hat ihm ein Geheimnis verraten, das eigentlich keiner wissen darf. Es ist der Grund dafür, dass Ott jetzt so ruhig dasitzt, irgendwo zwischen Resignation und Galgenhumor. "Der Deal steht schon längst", sagt Ott. "Die tun hier nur noch so, als ob sie wirklich verhandeln." Er zeigt auf den Monitor in der Halle, ein afrikanischer Präsident hält eine Rede. "Da laufen jetzt die Schaufensterreden", sagt Ott. "Die Verhandlungen werden jetzt bewusst an die Wand gefahren. Wenn dann alle vom Scheitern reden, wird ein neues Papier aus dem Hut gezaubert. Aber das existiert längst."

Darin wird stehen, dass die Industrieländer ihre Emissionen bis 2020 um 24 Prozent reduzieren, zieht man die Schlupflöcher ab, sind es nur noch zehn Prozent. Nötig wären 40. Die Schwellenländer werden einverstanden sein, sagt Ott, weil sie keine Verpflichtungen eingehen müssen. Die Entwicklungsländer werden mit ein bisschen Geld abgespeist. "Es wird ein Ergebnis geben, aber in der Sache wird der Gipfel scheitern. Der finale Deal wird auf 2011 vertagt." Eigentlich müsste es jetzt einen Aufschrei geben unter den Klimaschützern. Aber die Aktivisten sind mit ihrer Aussperrung beschäftigt und der Frage, wer von den 22.000 die 100 Plätze bekommt, die Freitag noch bleiben. Und die meisten Diplomaten wissen von nichts. Denn der Deal wird von den Regierungszentralen gemacht, viele Umweltminister sind da außen vor. Das ist neu bei den Klimaverhandlungen.

Ott schreit nicht. Er hat die Nachricht erst mal bei Twitter verschickt, er musste das loswerden. "Ich weiß selber nicht, ob ich wütend sein soll oder doch Verständnis habe", sagt er. "Wenn der Charakter der Verhandlungen sich ändert, muss sich auch die Form ändern." Einfluss nehmen kann er nicht mehr, nur noch nachdenken.

Wenn die Konferenz vorbei ist, will er eine neue Idee einspeisen, bei Diplomaten und Verbänden: Eine ständige Konferenz muss her, so wie die WTO in Genf. Das Thema sei zu groß geworden, um es nur hin und wieder zu besprechen, in immer wechselnden Städten. Und er will eine parlamentarische Initiative starten, um die Bundesregierung für seine Idee zu gewinnen.

Ott sitzt erst seit Oktober für die Grünen im Bundestag. Die Wissenschaft war ihm zu eng geworden. Aber vor allem hat er einen Traum. Er heißt "San Francisco 2.0". 1945 wurde in San Francisco die Uno gegründet und mit ihr eine Weltordnung. Ott glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Welt sich abermals auf eine neue Ordnung einigt. Er weiß, dass nur Beamte und Politiker an einer solchen Konferenz teilnehmen würden. Beamter will Ott nicht werden.

Quelle: http://www.ftd.de/politik/international/50051324.html

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