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Auf ein Neues!Stichwörter: Entwicklung Politik mitmachen

Wir wünschen allen Unterstützerinnen und Unterstützern (und all denen, die es noch werden) ein gutes neues Jahr, ausreichend Zufriedenheit, eine Riesenportion Selbstvertrauen und viel, viel Kraft (weil wir nach Kopenhagen mehr in die eigenen Hände nehmen müssen).

Zur Inspiration und - weil manche eher mit einer guten Wut im Bauch erst richtig warm laufen - zum Sich-schon-mal-warm-Ärgern unten ein paar Anregungen dazu, was das neue Jahr alles bringen könnte und höchstwahrscheinlich bringen wird.

Wir machen weiter. Trotzdem - oder gerade deshalb.

Zunächst 'Saving the Planet' von dem 2008 verstorbenen amerikanischen Komiker und Schauspieler George Carlin


Wer mehr über George wissen will: Wikipedia




Vandana Shiva in Kopenhagen. Auftritt vor Ende der Konferenz ...


Vandana Shiva hat erst kürzlich das hier schon einmal empfohlene Buch Leben ohne Erdöl - Eine Wirtschaft von unten gegen die Krise von oben geschrieben, welches man noch in unserem Shop bestellen kann




Die Süddeutsche Zeitung hat das alte Jahr mit zwei Beiträgen von Alex Rühle und Kathrin Hartmann im Feuilleton ausklingen lassen, die natürlich ins neue Jahr rüberwirken und je nach Vorstimmung Zorn oder Frust aufbauen helfen. Solange begeistertes Mitmachen daraus entsteht, ist es uns egal, welche Richtung die Gefühlsentwicklung nimmt.

'Gratiswut - Kann der Einzelne das Klima retten, wenn es die Weltgemeinschaft nicht schafft?' und ein Stück weiter unten dann 'Gratisgut - Und beginnt die Veränderung schon beim Einkaufen?'


Gratiswut
Kann der Einzelne das Klima retten, wenn es die Weltgemeinschaft nicht schafft?
von Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung

Zwei Tage nach dem Ende der Klimakonferenz in Kopenhagen sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kämpferisch, jetzt müsse eben "jeder Einzelne vorangehen. Jeder Einzelne macht jetzt bei sich zu Hause Kopenhagen." Jeder Einzelne dachte freilich gar nicht daran, sondern machte erst mal bei sich zu Hause Weihnachten. Man muss sich eigentlich nur die überquellenden Mülltonnen anschauen, die jetzt nach den Feiertagen in den deutschen Hinterhöfen stehen, um zu sehen, dass es noch ein weiter Weg sein dürfte, bis jeder Einzelne in Kopenhagen ankommt.

Künast war nicht die Einzige, die so furios den Einzelnen in die Pflicht nahm. Wenn es die da oben nicht reißen, so könnte man den Grundtenor der Appelle umschreiben, dann müssen es eben wir hier unten reißen.

Den interessantesten Beitrag lieferten in der Hinsicht Harald Welzer und Claus Leggewie, die soeben in den Blättern für deutsche und internationale Politik angesichts des Klimagipfels die Frage erörterten, ob denn Demokratie überhaupt die besseren Voraussetzungen für Umweltpolitik bietet als andere politische Systeme. Sie schreiben, dass der "kurze Zeittakt demokratischer Politik" gerade in Sachen Klimapolitik "jeder nachhaltigen und langfristigen Problemlösung chronisch zuwiderläuft". Jede Regierung hat ein paar Monate Zeit für unpopuläre Maßnahmen, dann muss die Politik wieder an den nächsten Landtagswahlen ausgerichtet werden.

Die überraschend optimistische Volte ihres Textes besteht darin, trotz dieser offensichtlichen strukturellen Probleme der Demokratie mehr Demokratie zu fordern. Echte Demokratie. Demokratie von unten. Der "politische Souverän", so schreiben sie, müsse "die real existierenden westlichen Demokratien zur Räson bringen". Mit diesem Souverän meinen sie die Bürgerinnen und Bürger. Das klingt einerseits sehr gut, andererseits in seiner Diktion fast wie aus fernen Tagen, herübergeweht aus bundesrepublikanischen Zeiten mit Vollzeitbeschäftigung und Sonntagsfrühschoppen.

1992 schrieb Ralf Dahrendorf, Freiheit sei "weder ein Urzustand des Menschen, zu dem wir durch Beseitigung aller Zwänge zurückkehren sollten, noch ein postmodernes Vakuum, in dem alles geht. Freiheit ist eine zivilisierte und zivilisierende Kraft". Soll heißen: Ohne Bürger, die sich für das filigrane institutionelle Geflecht interessieren, in dem eine solche Freiheit nur möglich ist, ist eben diese Freiheit nicht zu haben. Dahrendorf definierte Bürgerschaft seinerzeit "als eine Menge von Chancen" und den Bürger als "stolzes Wesen, bereit, für die Grundwerte der offenen Gesellschaft einzustehen." Was müssen die frühen neunziger Jahre für freundliche, frühlingsmilde Zeiten gewesen sein. Stolze Wesen mit einer Menge von Chancen? Wo wären die denn heute zu finden? Anders gefragt: Was passiert, wenn immer weniger Bürger den von Dahrendorf als konstituierend bezeichneten Stolz verspüren? Der "Souverän", von dem Leggewie und Welzer sprechen, fühlt sich doch längst nicht mehr als solcher. Das zeigte ja auch die merkwürdige Lähmung während der Finanzkrise.

Seit September vergangenen Jahres, seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, wurden immer wieder Proteste, ja revolutionsähnliche Zustände prognostiziert. Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, warnte vor "sozialen Unruhen", Gesine Schwan sah "Gefahr für die Demokratie". Natürlich sind solche Sätze immer auch als Wahl- oder Klassenkampfrhetorik zu lesen. Dennoch war es verblüffend zu sehen, wie ruhig es am Ende blieb. Es gab vereinzelt Demonstrationen, auf denen die mitliefen, die ohnehin demonstrieren. Die breite Mittelschicht indes blieb zu Hause. Wenn man aber in unzähligen Umfragen liest, dass sich ein tiefes Gefühl der Ungerechtigkeit durch immer größere Teile der Gesellschaft frisst und dass die Finanzkrise das Vertrauen in das kapitalistische Wirtschaftssystem so nachhaltig erschüttert hat, wie das vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre, muss einem diese Stille vorkommen wie ein gefährliches Vakuum. Die Menschen, so das Fazit einer Langzeitstudie des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer, verkriechen sich, es breite sich eine "hoffnungslose Unzufriedenheit" aus, eine Art Mehltau aus Apathie und Depression. Ausgelöst wird diese Lähmung einerseits durch das Gefühl, machtlos zu sein, andererseits durch die Beobachtung, dass die Politik selbst nicht mehr in der Lage zu sein scheint, gestalterisch zu lenken. Das Schockierende an der Finanzkrise war ja, im Nachhinein zu sehen, dass längst eher die Staaten in Märkte als die Volkswirtschaften in staatliche Grenzen eingebettet sind.

Kopenhagen wird diese Glaubwürdigkeitskrise der Politik weiter verschärfen.

Peter Sloterdijk verglich in dieser Zeitung das eklatante Scheitern der Klimakonferenz mit dem Vorabend der Französischen Revolution: "Alles, was vorgibt an der Macht zu sein, erscheint von jetzt an wie ein hohles Ancien Régime. Nach Kopenhagen leben wir in einer vorrevolutionären Situation neuen Typs. In aller Welt werden die Bürger nach Sicherheit vor ihren Regierungen verlangen."

Das ist griffig formuliert. Aber das Ancien Régime wurde seinerzeit fortgefegt, weil es das aufstrebende Bürgertum, einen Stand mit ausgeprägtem Klassenbewusstsein und einem starken Eigeninteresse am politischen Wandel, gab: Die Unternehmer hatten Ende des 18. Jahrhunderts schlicht keine Lust mehr, den dekadenten und faulen Adel mit der eigenen Arbeit zu alimentieren. Gegen wen aber soll man heute Revolution machen? Gegen die amerikanische oder chinesische Klimablockadepolitik? Gegen zynische Bonizahlungen? Gegen "das System"? Mit seinem Reststolz wünscht man sich als kleiner Bürger angesichts der Finanz- und Klimakrise ja eher, dass ebendieses System sich endlich mal wieder als funktionstüchtig erweist. Und wer sollte die Revolution machen? All wir Mittelschichtler, die wir ängstlich drauf hoffen, die Folgen der Krise irgendwie zu überleben?

Leggewie und Welzer setzen auf eine "Apo 2.0", also eine Art digitale Graswurzelvernetzung. Der ist auf jeden Fall alles Glück der Welt zu wünschen. Aber mit ihrer Begeisterung für den digital engagierten Bürger kommen einem die beiden Wissenschaftler vor wie erstmalige Besucher eines Bioladens in Berlin-Mitte am Samstagnachmittag. Klar ist der Laden voll, aber Bioprodukte machen immer noch nur einen Bruchteil der Lebensmittelbranche aus. Die Welt ändert es nicht. Künasts Mit- und Mutmachappell, jetzt müsse eben jeder Einzelne ran und noch umweltbewusster seinen Müll trennen, klingt da wie Hohn. Tun wir doch längst! Carsharing, Biokost, Wärmedämmung - immer mehr Leute versuchen, den eigenen ökologischen Fußabtritt ein paar Nummern kleiner zu bekommen. Aber all das ist Makulatur, solange nicht das gesamte Wirtschafts- und Energiesystem umgebaut wird. Was nützt es, seine Aluminiumdeckel zu recyceln, wenn gleichzeitig in Deutschland 17 neue Kohlekraftwerke geplant und neun gebaut werden, obwohl die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom aus Braunkohle 1153 Gramm CO 2 freisetzt, während für dieselbe Strommenge in einem modernen GuD-Erdgas-Kraftwerk nur 148 Gramm benötigt werden?

Was wiederum nützt es, als Einzelner alternative Energie zu beziehen, solange es immer noch keine wirklich funktionierende Internationale Agentur für Erneuerbare Energien gibt, die Atomenergie-Agentur und die Internationale Energie-Agentur der OECD also weiterhin dafür sorgen können, dass die Förderung der Atomenergie und der fossilen Energiesicherheit Vorrang haben?

Noch grausamer: Selbst wenn ganz Europa über Nacht in ein einziges Nachhaltigkeitsparadies verwandelt werden würde - wir Europäer sind für gerade mal 16 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Nein, das soll natürlich nicht kleingerechnet werden, außerdem sind da der historische Entwicklungsvorsprung und damit auch die historische Verantwortung. Aber es ist schon ziemlich schwer geworden, als mitteleuropäische Mülltrennmonade die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns vor sich selber zu begründen.

Vielleicht war das einzig Gute an Kopenhagen die Totalität des Scheiterns. Dass all die Staatenlenker mit derart leeren Händen nach Hause zurückkehren mussten. Dass die so lange vorbereitete Konferenz wie ein improvisiertes Laientheater kopfloser Provinzfürsten wirkte. Statt souveräner Global Governance wurden niederstes Hinterzimmergeschacher, destruktive Blockadepolitik, gespeist aus nationalen Egoismen, und am Ende hilflos panischer Aktionismus geboten. Vielleicht führt diese Niederlage der Weltpolitik einerseits dazu, dass man aufhört, auf solchen Gipfeln nach globalen Konsenslösungen zu suchen, was bedeutet, dass man sich einzelnen Bremsern und Saboteuren politisch ausliefert; die Chinesen haben nicht einmal den Versuch unternommen, den destruktiven Kern ihres Verhaltens zu verschleiern. Und vielleicht aktiviert diese Bankrotterklärung ja tatsächlich eine "Apo 2.0", ein langfristiges Engagement von unten.

Womit wir wieder am Anfang wären. Was bleibt dem Einzelnen zu tun? Es ist verdammt schwer, Ende 2009 ein Bürger im Dahrendorfschen Sinne zu sein. Daran zu glauben, dass man zu Hause bei sich Kopenhagen ausgleichen kann. Dass man mit Internetaktionen das Steuer rumreißen kann. Die Politiker vertrösten die schockierte Weltgemeinschaft, indem sie auf den nächsten Klimagipfel verweisen, Mitte kommenden Jahres, in Bonn. Und dann trifft man sich ja in Mexiko. So wie man sich eben seit Toronto trifft, seit auf der ersten Weltkonferenz der Klimawissenschaftler erklärt wurde, dass die Klimaveränderungen durch fossile Energien ähnlich katastrophale Folgen haben werden wie ein Atomkrieg, wenn nicht schleunigst gegengesteuert wird. Das war im Jahre 1988. Seither sind die Emissionen weltweit um 42,4 Prozent gestiegen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung - Dienstag, den 29. Dezember 2009




Gratisgut
Und beginnt die Veränderung schon beim Einkaufen?
von Kathrin Hartmann, Süddeutsche Zeitung

Ethik und Konsum sind für viele längst nicht mehr der Widerspruch in sich. Im Gegenteil. Gerade Menschen mit hoher Bildung, hohem Einkommen und liberaler Gesinnung betrachten Konsum als ethische Praxis. Die Kooperation des Otto-Konzerns mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus wurde entsprechend großformatig gelobt. Der weltgrößte Versandhändler und der Vater der Mikrokredite wollen in Bangladesch eine sozial und ökologisch verträgliche Textilfabrik bauen. Die Gewinne sollen in eine Stiftung fließen, die den Arbeitern Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung zukommen lässt. Das klingt wunderbar, denn die Situation in den Textilfabriken des bitterarmen Landes ist dramatisch: In den Sweatshops werden Millionen Arbeiter beschäftigt, um so billig wie möglich Kleidungsstücke herzustellen, die andere große Konzerne, je nach Kundschaft, sehr billig oder sehr teuer verkaufen. Im Sommer und Herbst revoltierten Zehntausende Textilarbeiter in Bangladesch gegen schlechte Bezahlung und ausstehende Löhne. Fabriken brannten. Zwei Menschen wurden von der Polizei getötet.

Yunus nennt die geplante Otto-Fabrik sogar ein "Symbol, das die Welt verändern wird". Das hat Gewicht, denn der bangladeschische Wirtschaftswissenschaftler und Gründer der Grameen Bank bekam den Friedensnobelpreis 2006 für seine Idee, Mikrokredite an arme Menschen zu geben. Man sieht schon allein daran, dass ein Banker den Preis erhielt, wie groß die Hoffnung ist, dass die Privatwirtschaft die Probleme der Welt - Armut, Klimawandel, Ressourcenknappheit - löst. Selbst die Unternehmensberatung McKinsey sieht die Zukunft im ethischen Wirtschaften. Wirtschaftskongresse beschäftigen sich mit der "Moral der Märkte", und es gibt fast keinen Konzern mehr, der seine "Verantwortung" nicht auf der Homepage beschrieben hätte. Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht "verantwortlich handelnde Unternehmen" als Krisengewinner. Das ist ein Ergebnis der "Trendstudie 2009" der Otto-Group, für die der Konzern die "Zukunft des ethischen Konsums" untersuchen ließ. "Lifestyle of Health and Sustainability" - kurz: Lohas - nennt sich der Trend. Die Überlegung, die dahintersteckt, ist einfach: Wenn genug Menschen ökologische und sozialverträgliche Produkte kaufen, dann werden bald auch nur noch solche "guten" Produkte hergestellt.

Das Problem ist nur: Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Wer bei Lidl bio und fair kauft, unterstützt die Niedrigpreispolitik des Konzerns und die dortigen Arbeitsbedingungen. Wer sich bei Adidas Recycling-Schuhe kauft, spart Ressourcen, akzeptiert aber die Zustände in den Sweatshops. Süßwarenhersteller wie Mars und Nestlé haben ihren Zulieferern zwar untersagt, Kinder auf Kakaoplantagen arbeiten zu lassen. Laut einer Südwind-Studie hat das die Situation der Kakaobauern jedoch verschlechtert. Ohne Kinderarbeit gibt es weniger Erträge, die Bauern bekommen noch weniger Geld. Kinderarbeit ist keine sinistre Idee böser Bosse, sondern in Entwicklungsländern eine wirtschaftliche Notwendigkeit: Die niedrigen Löhne, die die Konzerne zahlen, reichen nicht zum Überleben einer Familie, wenn nur die Eltern arbeiten.

Selbst der Bioboom hat negative Folgen - besonders dort, wo er den Massenkonsum trifft: Weil es auch der Bio-Kunde gern billig hat, sind die Gewinner des Booms nicht die Bio-Märkte, sondern die Discounter. Sie verkaufen inzwischen ein Drittel der Bio-Produkte in Deutschland. Sie haben aber nicht die konventionellen Produkte durch Bio-Produkte ersetzt, sondern diese zusätzlich ins Regal gestellt, um am Boom zu verdienen. Das Bio-Gemüse kommt, wie alles im Discounter, daher, wo es billig ist: aus heißen, trockenen Ländern. Dort verbraucht dieses zusätzlich viel Wasser und verursacht Umweltschäden. Auf den nötigen ökologischen Umbau der deutschen Landwirtschaft hat der Boom aber keinen Einfluss: Der Anteil der Öko-Anbauflächen stagniert um die fünf Prozent, weil die Subventionen für deutsche Bio-Bauern gekürzt worden sind.

Auch der faire Handel, der Kleinbauern in Entwicklungsländern die Abnahme ihrer Lebensmittel zum höheren Preis garantiert, ist vor neue Probleme gestellt: Die den Weltmarkt beherrschenden Kaffeekonzerne wie Jacobs, Tchibo, Nestlé oder Kraft, die den Produzenten mit ihrer Preispolitik schwer zu schaffen machen, haben sich, statt faire Preise zu zahlen, Ersatzsiegel zugelegt. Sie unterstützen kaum überprüfbare Minimalstandards auf den Plantagen, und den "nachhaltigen und sozialverträglichen" Kaffee sollen die Bauern zu einem höheren Preis verkaufen können. Weil "nachhaltig" für ein reines Verbrauchergewissen schon reicht, wird nun jedoch dieser Kaffee, der etwa bei McCafé oder Ikea günstig verkauft wird, dem tatsächlich fair gehandelten Kaffee zur Konkurrenz.

Auch das Otto-Projekt hat eine dunkle Seite; ganz abgesehen davon, dass die rund 300 000 Produkte, die Otto vertreibt, überwiegend nicht nach ethischen Kriterien produziert wurden. In Bangladesch sind vier Millionen Arbeiter von der Textilindustrie abhängig - aber nur 500 bis 700 Menschen arbeiten in der "guten" Otto-Fabrik. Otto kauft nur die Hälfte der dort hergestellten Kleider, den Rest muss diese selbst verkaufen - und ist damit den Marktbedingungen ausgeliefert, die die Textilindustrie in Bangladesch in die Krise gestürzt hat. Otto orientiert sich am ortsüblichen Mindestlohn und zahlt zwischen 19 und 65 Euro pro Monat. Das ist zum Teil genauso wenig, wie Arbeiter in den Sweatshops verdienen. In Entwicklungsländern wird der Mindestlohn nicht danach festgesetzt, ob Menschen davon leben können. Der Niedriglohn ist der Standortvorteil, mit dem arme Länder um Auftraggeber aus den reichen Ländern konkurrieren.

Die Konzerne haben großes Interesse, diese Strukturen zu erhalten. Und mächtig sind sie, weil sie für ihre Anliegen Lobbyarbeit in der Politik betreiben. Die Lohas-Anhänger glauben, privater Konsum sei politisch. Doch bleibt alles, wie es ist. Selbst wenn noch so viele Fischstäbchen gekauft werden, mit denen man Meeresschutzprojekten hilft, noch so viel Industriekäse, mit dem man Suppenküchen unterstützt, und noch so viele Autos, für die der Autohändler Bäume pflanzen lässt. Denn all das ist letztlich affirmativ und systemkonform. Es gibt in der PR-Branche sogar einen Namen für Aktionen, die suggerieren sollen, dass Produkte ökologisch korrekt sind. Man nennt es "Greenwashing".

Quelle: Süddeutsche Zeitung - Dienstag, den 29. Dezember 2009


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