Pro REGENWALD

Neues Hintergrund Projekte Mitmachen Über uns Mithelfen/Spenden
Please leave these fields blank (spam trap):

Nicaragua unter Feuer Stichwörter: Protest Schutzgebiete Politik Korruption


Indio Maíz ist ein Schutzgebiet und keine Goldgrube
Mit ein paar Waldbränden im Schutzgebiet Indio Maíz im Grenzgebiet zu Costa Rica Anfang April hat es angefangen. Zuerst hat die nicaraguanische Regierung das Angebot des Nachbars Costa Rica, eine Gruppe Firefighter zu entsenden, abgelehnt ( Nicaragua fires: aid from Costa Rica rejected as blaze destroys rainforest. Nur wenige Tage später untersagte Militär einer Gruppe nicaraguanischer Journalisten und Umweltaktivisten den Zugang zu der Region, was zu ersten Protesten führte. Inzwischen soll es rund 30 tote Demonstranten geben -Menschen die friedlich zuerst für die Erhaltung des Schutzgebiets und nach Ankündigung einer Reform der Sozialkassen immer mehr gegen die unerträgliche Willkür und Korruption der Ortega-Regierung protestierten (siehe: Cuatro días de protestas y enfrentamientos dejan más de 30 muertos en Nicaragua.)
Karte Nicaragua
Die angekündigte Reform der Sozialkassen war der Tropfen, der das Fass entgültig zum Überlaufen gebracht hat. Rentner sollen eine fünfprozentigen Kürzung ihrer ohnehin knappen Pensionen hinnehmen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu drastisch erhöhten Abgaben verpflichtet werden. Die Änderung soll jährlich umgerechnet 200 Millionen Euro in die Kassen der Rentenkasse INSS spülen. Die Erhöhung sei notwendig, so behauptet es die Regierung, um den Zusammenbruch der Sozialsysteme zu verhindern. Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, die Kassen geplündert und das Geld für fragwürdige Projekte abgezweigt zu haben.

Einen kurzen Blick auf die Proteste gegen die Zerstörung des Indios Maíz-Schutzgebiets wirft der folgende erste Beitrag von Canal 12, der zweite geht mehr auf die Folgen der Zerstörung ein und welche Maßnahmen die Regierung treffen müsste (beide Beiträge bisher in spanisch.

El incendio en la reserva biológica indio Maíz es la señal más grande de la grave crisis ambiental.



Las lecciones que debe sacar el país después del incendio en la reserva Indio Maíz



Eine anschauliche Beschreibung der augenblicklichen Situation und einen Einblick in die Vorgeschichte geben folgende Absätze von Lennard. Lennard war letztes Jahr weltwärts-Freiwilliger, der ein Jahr bei unserer Partner-Organisation Sano y Salvo in Nueva Guinea mitgearbeitet hat. Das Leben hat ihn inzwischen wieder nach Nicaragua verschlagen und er ist ganz nah dran am Geschehen, nicht zuletzt weil seine Freundin eine der Aktivistinnen ist, die jeden Tag auf die Straße gehen. Er schreibt:

Durch die derzeitigen Ereignisse in Nicaragua, fuehle ich mich dazu verpflichtet euch allen mitzuteilen, was hier gerade alles wirklich passiert.

Nicaragua, wo liegt das denn? Nicaragua ist ein wunderschoenes Land in Zentralamerika, grenzt im Sueden an Costa Rica und im Norden an Honduras. 6,3 Millionen Menschen leben hier, es gibt eine reiche Flora & Fauna, traumhafte Landschaften, Vulkane, Kakao und Kaffee. Es ist, nach Haiti, das zweitaermste Land des amerikanischen Kontinents. Drogen- und Kartellprobleme wie man sie aus Guatemala, El Salvador, Honduras oder Mexiko kennt, gibt es hier trotzem nicht, laut Kriminalitaetsstatistiken ist es eines der sichersten Laender Lateinamerikas. Die Menschen hier sind unglaublich offen und freundlich und sehr interessiert an Menschen aus dem Ausland. Man nennt mich “Chele”, was so viel bedeutet wie “weisser Europaeer”. Seit 2007 wird Nicaragua von Daniel Ortega und seiner Partei FSLN regiert, auch die “Sandinisten” genannt (benannt nach dem Widerstandsfuehrer gegen die US-Besetzung in der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts), welcher seitdem das politische System zu einer privaten Dynastie umgebaut hat. Um wiedergewaehlt werden zu koennen wurde die Verfassung geaendert, im Jahr 2016 wurde er nach einer Scheinwahl zum zweiten Mal im Amt “bestaetigt”. Seine Ehefrau Rosario Murillo, hier genannt “La Bruja” – “Die Hexe”, ist Vizepraesidentin, seine Kinder haben wichtige Positionen inne, besitzen zahlreiche grosse Unternehmen und der ganze Klan ist unfassbar korrupt.

Warum bin ich hier? Zum ersten Mal kam ich 2016 ins Land und blieb fuer ein Jahr um einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst auf einer oekologischen Farm und mit einer lokalen Organisation zu leisten, welche versucht den Bauern dieses Landes durch alternative Anbaumethoden einen Weg aus der Armut zu weisen und die natuerlichen Ressourcen zu schuetzen. Waehrend meines Freiwilligendienstes lernte ich auch meine wunderbare Freundin kennen, also beschloss ich im Februar dieses Jahres wieder zurueckzukehren. Seit April leben wir in der Hauptstadt Managua, in der ich derzeit ein Praktikum ableiste. Doch genug zu mir.

Was passiert hier gerade? Anfang April brachen an unterschiedlichen Stellen in einem der groessten Naturreservate des Landes, im Indio Maiz, zeitgleich zahlreiche Feuer aus. Waehrend der ersten Tage sah die Regierung tatenlos zu und beschloss sich dann an Tag vier schlussendlich die Armee zur Bekaempfung der Braende zu schicken. Doch das Feuer breitete sich weiter aus. Die Medien wurden am Betreten des Reservates gehindert, Hilfe aus dem Nachbarland Costa Rica, welches einen Trupp Feuerwahrleute schickte um zu helfen, wurde arrogant abgelehnt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Regierung eigene wirtschaftliche Interessen im Indio Maiz verfolgt, seit Jahren wird nichts gegen illegalen Holzschlag unternommen, die Interessen der indigenen Bevoelkerung in den Gebieten werden ignoriert. Studenten in Managua organisierten Proteste um die Regierung aufzufordern Informationen zu den Vorgaengen zu veroeffentlichen. Nach acht Tagen war das Feuer dann schlussendlich unter Kontrolle gebracht, ca. 5000 Hektar Primaerwald waren verloren.

Dann, vor einigen Tagen, ohne Vorankuendigung, lies Ortega soziale Reformen verlauten. Das nationale Institut fuer soziale Sicherheit (INSS), nach Jahren des Missmanagements und des Missbrauchs der finanziellen Ruecklagen des Instituts fuer korrupte Projekte der Regierung, brauchte Geld, also wurde kurzerhand beschlossen, dass alle Arbeiter hoehere Beitrage zahlen zu haben und die Renten der Pensionisten, welche sowieso schon nicht zum Ueberleben reichen, um fuenf Prozent gekuerzt werden.

Das war der Punkt an dem die Leute begannen auf die Strasse zu gehen. Studenten und Pensionisten protestierten friedlich Seite an Seite, um ihren Unmut ueber die Reformen zum Ausdruck zu bringen. Zuerst organisierte die Regierung Gegenproteste, angefuehrt von der sogenannten “JS – Juventud Sandinista”, eine an die Hitlerjugend erinnernde Jugendorganisation in der den jungen Leuten schon von Frueh an die Ideologie des Staates eingeblaeut wird und welche den Anordnungen des Praesidenten blind Gehorsam leistet. Diese fingen an, die Protestanten zu terrorisieren wo sie nur konnten, schlugen Leute auf der Strasse zusammen, warfen Steine, zerstoerten Universitaeten, stahlen die Ausruestung von unabhaengigen Journalisten. Alles unterstuetzt und beschuetzt von der Polizei, welche oft sogar direkt daneben stand. Die Regierungen zwang Staatsbeamte, minderjaehrige Schueler und Studenten anderer Unis an diesen Gegenprotesten teilzunehmen, sollten diese sich weigern, kam die fristlose Kuendigung, Stipendien wurden entzogen, schlechte Noten angedroht. Aber genau diese unverhaeltnismaessige Unterdrueckung der friedlichen Proteste fuehrte dazu, dass die Leute entschlossen: Es reicht!

Dann begannen die wahren Proteste, ueberall im Land. Und mit jedem Tag reagieren Polizei und Juventud Sandinista mit mehr Gewalt. Ortega nahm die einzigen unabhaengigen Nachrichtensender und Zeitungen vom Netz, also organisierte sich die Bewegung ueber die sozialen Medien. Die regierungsnahen Medien verbreiten seitdem Luegen und Hass, denunzieren die Protestanten als unbedeutende Gruppen von Dieben und Moerderern, welche es verdienen, dass gegen sie mit Gewalt vorgegangen wird. Leute werden auf der Strasse zusammengeschlagen, die Polizei feuert Unmengen an Traenengas in friedvoll protestierende Gruppen. Die Bevoelkerung und Sanitaeter werden daran gehindert Verwundeten zu helfen. Wasser und Hilfsmittel fuer die Protestanten wird konfisziert. Polizisten, die sich weigern, gewaltvoll gegen ihr eigenes Volk vorzugehen, werden festgenommen. Unser Apartment befindet sich 50 Meter von der Hauptstrasse entfernt, welche zu der Uni fuehrt in der alles begann und welche daher heiss umgekaempft ist. Vor zwei Tagen hatten wir Traenengas im Schlafzimmer, gewaehrten Protestanten Zuflucht und halfen aus mit Essen und Wasser. Einen Tag vorher bereits gab es die ersten Toten. Zuerst erlitten sie toedliche Verletzungen durch Gummigeschosse. Aus Gummigeschossen wurde scharfe Munition. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind es etwa 25 bestaetigte Tote, Dunkelziffer weit hoeher. Die meisten davon sind in ihren fruehen Zwanzigern, viele juenger, der Juengste wurde gerade einmal 15 Jahr alt.
Wir sind nicht 'die Opposition'. Wir sind das Volk.
Vorgestern wurde ausserdem ein Cousin meiner Freundin erschossen, wir sahen ihn sterben in einem Video auf Twitter. Gestern waren wir auf der Trauerfeier, sahen den Leichnam und troesteten seine weinende Mutter. Leute werden vermisst. Es gibt Videos auf Twitter in denen Polizisten tote Koerper verschwinden lassen. Es gibt Geruechte, dass die festgenommenen Protestanten in ein Gefaengnis ausserhalb Managuas gebracht werden, welches fuer seine Folterkeller beruechtigt ist. Es gibt ein Video in welchem ein Journalist in einer Stadt im Osten des Landes waehrend eines Livestreams durch einen Kopfschuss getoetet wird, waehrend er versucht der Polizei zu folgen und zu filmen was passiert. Vier junge Menschen wurden, offensichtlich von einem Scharfschuetzen auf dem Dach des Rathauses von Managua, bei Protesten erschossen. Seit gestern wird eine der letzten sich noch widersetzenden Universitaeten in Managua von Protestanten verteidigt, umstellt von hunderten Polizisten.
Gestern noch riefen sie in den sozialen Medien um Hilfe, heute hoert man kaum noch etwas, ihnen wurden Wasser und Strom abgestellt, um nicht mehr mit der Aussenwelt kommunizieren zu koennen. Gestern in den Abendstunden waren Schuesse und Explosionen zu hoeren, heute Abend wird es vermutlich weitergehen. In einigen Staedten ist die Armee aufgetaucht, was genau passieren wird weiss niemand. Gestern und heute hielt Praesident Ortegag Ansprachen, ueber eine Stunde inhaltloses Gelabere, keine Stellungnahme zu den Toten. Seit heute sind fast alle Laeden und Maerkte geschlossen, es kam bereits zu Pluenderungen, einige davon von der Polizei und der JS gedeckt. In vielen Bezirken der Stadt versammelt sich die Bevoelkerung um die nahegelegenden Supermaerkte herum, um diese zu verteidigen, auch vor der Polizei. Inwieweit die Siuationen weiter eskalieren wird, weiss keiner so genau. Aber die Menschen fuehlen, dass hier etwas wichtiges passiert. Sie hoffen auf eine Chance zur Besserung und ich bin mir sicher, dass sie nicht muede werden ihre Rechte weiter zu verteidigen. Ich habe in den letzten Tage viele mutige und starke Menschen getroffen und gesehen, meine Freundin mit eingeschlossen. Vor nicht allzu langer Zeit gab es bereits eine geglueckte Revolution im Land. Man kann nur hoffen, dass das alles hier gut ausgehen wird.
Sollte jemand interessiert sein dem Geschehen hier weiter zu folgen, habe ich am Anfang des Textes die beiden wichtigsten Hashtags auf Twitter angehaengt. Ausserdem gibt es noch eine verbliebende unabhaengige Zeitung, welche weiter objektiv berichtet und einen Nachrichtenkanal, welcher zwar bereits zensiert wurde, auf facebook jedoch weitermacht: https://www.laprensa.com.ni/ https://www.facebook.com/Canal100Noticias/ Die Seiten sind auf Spanisch, ich denke jedoch, dass die Bilder und Videos fuer sich sprechen. Man sollte sich jedoch teilweise auf heftige Inhalte einstellen.

Wir haben in der Zwischenzeit auch noch eine Erklärung einer Gruppe empörter Bürger und Bürgerinnen aus Nueva Guinea übersetzt, die damit ihre Motivation zum Widerstand erklären und Forderungen stellen. Sie schreiben:

Verkündung

Wir, das Volk, das aus verschiedenen Gebieten der Gemeinde Nueva Guinea kommt, sprechen uns gegen die Reform des INSS aus, weil diese unsere ohnehin schon niedrigen Löhne und Renten bedroht. Das INSS ist unser Sozialinstitut (Instituto Nicaragüense de Seguridad Social- Nicaraguanisches Institut für Sozialversicherung), es gehört allen NicaraguanerInnen und weder einer Partei noch einer Regierung.

Wir stellen uns gegen die Repression der nationalen Medien. Es ist unser Recht als Bevölkerung, informiert zu sein und das Kommunikationsmittel zu wählen, welches wir anschauen oder anhören wollen.

Wir protestieren gegen die Institutionalisierung der Korruption, welche unser Land international diffamiert und unseren Kinder und Jugendlichen die Zukunft raubt.

Wir sagen "Nein" zum Gesetz 840, dem Kanalgesetz, weil es unsere nationale Souveränität verletzt, es legalisiert die Enteignung des Landes der Bauernfamilien, die im Weg des Kanals leben.

Wir verurteilen die Gegenmärsche, die von der Regierung organisiert wurden, um die Menschen, die friedlich protestieren, zu verletzen und zu töten. Das ist inakzeptabel und institutionalisierte Kriminalität seitens der Regierung.

Wir sind gegen die Invasion in das Indio Maiz-Reservat und gegen die Brandrodung dort.

Zu guter Letzt verurteilen wir den Angriff auf die Teilnehmer an unserem Protestarsch am 20. April in Nueva Guinea. Unser Marsch war friedlich, als die Teilnehmer plötzlich mit Mörsern, Steinen und Messern attackierten wurden. Eine Person wurde erstochen, der Täter ist uns bekannt. Viele von uns haben Wunden davongetragen, von den Steinen und Schlägen der Angreifer. Dies zeigt, dass die Gegenprotestanten darauf vorbereitet waren, uns mit Waffen anzugreifen.

Wir fordern, dass alle Teilnehmer des Marsches aus Nueva Guinea und dem ganzen Land, entlassen werden. Wir solidarisieren uns mit den Familien der Ermordeten, deren Mitglieder durch von der Regierung provozierte Gewalt umgekommen sind, durchgeführt von den Mobs der Ortega-Jugend.

All dies verpflichtet uns, uns weiterhin friedlich auszudrücken, weshalb wir heute, an diesem Samstag um 12 Uhr, auf dem Markt von Nueva Guinea zu einer Gedenkfeier einladen. Wir machen die Regierung für jede Einschränkung oder jeden Angriff auf unsere Meinungsfreiheit verantwortlich.

Wir sind die Menschen und wir fordern Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit!

(Übersetzung: Pro REGENWALD, Alex Caspari)

Weiterlesen/-sehen:

Camilo De Castro: “La gente va a Indio Maíz a hacer dinero”, laprensa.com.ni, 15.04.2018

Indígenas piden participación para resguardar la Reserva Indio Maíz, laprensa.com.ni, 16.04.2108

Los muertos de la represión que Daniel Ortega oculta, www.confidencial.com.ni, 22.04.2018

Nicaragua Says No to Repression or Back Room Deals, www.confidencial.com.ni, 22.04.2018

www.confidencial.com.ni

laprensa.com.ni

Canal 12

Kommentare

# gerd am 23.04.2018, 11:47

'Now it is 22:12 Nicaraguan time - and riot cops are attacking the UPOLI University, the center of student resistance. At 10 pm Pierre Pierson reported that five more people have already been killed in the attack.'

Please leave these fields blank (spam trap):

Kein HTML erlaubt.
Bitte verschont uns hier vor Werbeeinträgen, inhaltsfernem, beleidigendem oder anderweitig nicht tragbarem Geschreibe. Wir löschen solche Einträge, wollen aber nicht jeden Tag kontrollieren müssen.


Kommentar kann bis zu 30 Minuten nach dem Abschicken geändert werden.

Please leave these fields blank (spam trap):