Was geht uns der Wald an - an dem fressen doch nur ein paar Rehe!Stichwörter: Protest Waldbewirtschaftung Diskussion
Weil wir uns auf Regenwald (oder Wald ausserhalb Deutschlands) retten konzentrieren, ertappen wir uns immer wieder dabei, die Gefährdung des Waldes im eigenen Land zu vergessen. Glücklicherweise hat uns ein heftiger Streit aus unserer Konzentration gerissen, den eine Anfang Mai veröffentlichte Studie verursacht hat: Oh verdammt, auch dem deutschen Wald geht es nicht so gut wie es könnte - er wird vom Reh gefressen!
Das jedenfalls behauptet eine Studie, die nicht von radikalen Sponti-Umweltschützern in Auftrag gegeben wurde, sondern vom Bundesamt für Naturschutz, der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft und dem Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR), der private und öffentliche Waldbesitzer vertritt. Ergebnis: Nie zuvor hat es soviele Rehe gegeben, die vollkommen unzeitgemäß durch starken Verbiss die Jungbäume so sehr gefährdet, dass viele nicht mehr hochkommen und den Strapazen, die dem Wald wg. Klimawandel ohnehin drohen, angemessen standhalten können.
Der Vorwurf geht an die Jäger, die eher an Trophäen Interesse hätten, als am gesunden Wald - und ganz einfach zu wenig Rehe schiessen und zudem die Bestände durch die umstrittene Winterfütterung unnatürlich hoch halten. Den bisher in Deutschland praktizierte Konsens 'Wald vor Wild' hätten die Jäger klammheimlich in 'Wild vor Wald' gewandelt.
Die Reaktion der Jäger auf die Veröffentlichung war ganz im Stil zur früheren Auseinandersetzung zum Thema wenig zielführend. Immerhin bekennt sich der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV)ganz nach dem Motto 'Name ist Programm' zu dem was man schon immer befürchtet hat: Notfalls verteidigen wir die Jagd gegen den Rest der Welt - das kann dann auch zu Lasten des Waldes gehen.
Es folgen ein Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung vom 6. Mai und eine Pressemitteilung des DJV vom 5. Mai
Verbissener Streit Forstwirtschaftler und Naturschützer nehmen Jäger ins Visier
Von Wolfgang Roth
München - Wald vor Wild: Der Konflikt ist so alt wie die Bundesrepublik und hat neue Nahrung bekommen durch ein Gutachten, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Die Autoren, Forscher an Hochschulen in Göttingen und München, kommen zu dem Ergebnis, dass es mit der Vorrangstellung des Waldes nicht weit her ist, weil die "unnatürlich" hohe Dichte des Wilds vielerorts katastrophale Schäden verursache. Nie zuvor in der Geschichte hat es hier so viele Rehe gegeben, und das hat Folgen nicht nur für die Holznutzung in der Forstwirtschaft. Der verbreitete Verbiss der Jungbäume gefährdet auch die vielfältigen ökologischen Funktionen artenreicher, gegen den Klimawandel gewappneter Mischwälder.
In Auftrag gegeben hatten die Studie das Bundesamt für Naturschutz, die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft und der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR), der private und öffentliche Waldbesitzer vertritt. Die Expertise kommt zu dem Schluss, dass nur eine deutliche Verminderung der Rehe Abhilfe brächte. Das zeigt die Erfahrung in einigen Revieren; sonst aber legt sich, so führt das Gutachten aus, die Jägerschaft quer, die mehrheitlich an hoher Wilddichte interessiert ist. Das widerspreche den gesellschaftlichen Zielen, die in klaren gesetzlichen Normen zum Ausdruck kommen und die Vorrangstellung des Waldes proklamieren. Demgegenüber sei die Jagd nur eine nachrangige Nebennutzung.
Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes, verwies auf die Zahlen der Waldinventur 2004. Damals zeigte sich, dass ein Fünftel aller Jungbäume verbissen waren. So würden erhebliche staatliche und private Investitionen buchstäblich in den Waldboden gesetzt. DFWR-Präsident Georg Schirmbeck sprach die hohen Kosten an, die durch den Bau von Schutzzäunen entstünden, er bezifferte sie auf mindestens 90 Millionen Euro jährlich. Gar nicht abzuschätzen sind Schäden, die langfristig entstehen, wenn Mischbaumarten verschwinden und sich ein artenarmer, gegen Krankheiten und Sturm anfälliger Wald bildet.
Lösungen wollen die Initiatoren des Gutachtens im Dialog mit der Jägerschaft erarbeiten, die aber an einigen Vorschlägen schwer zu beißen haben wird. Die Fütterung des Wilds soll auf echte Notzeiten beschränkt, effektivere Jagdmethoden sollen angewendet, die Jagdzeiten streng an wildbiologischen Erkenntnissen ausgerichtet werden. Von der staatlichen Förderung künstlicher Schutzvorrichtungen, speziell von Zäunen, halten die Autoren nichts; angestrebt wird ein Wildbestand, der teure Ersatzmethoden überflüssig macht. Außerdem soll Unfallwild nicht mehr auf die Abschusspläne angerechnet werden.
Die Reaktion der Jagdverbände wird nicht lange auf sich warten lassen. Schließlich führt stärkerer Jagddruck auch dazu, dass das Wild scheuer wird und die Waidleute in der Einzeljagd nicht mehr so leicht zum Schuss kommen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, den 06. Mai 2010
DJV lehnt einseitige Forderungen nach Wald vor Wild ab
Jäger regen gemeinsames Vorgehen mit BfN und der Forstwirtschaft anBonn (ots) - In einem Pressegespräch wurde am 5. Mai in Berlin das Gutachten "Der Wald-Wild-Konflikt - Analyse und Lösungsansätze vor dem Hintergrund rechtlicher, ökologischer und ökonomischer Zusammenhänge" vorgestellt. Die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) hatten das Gutachten bei der Universität Göttingen und der Technischen Universität München in Auftrag gegeben. Die Studie sollte "eine sachliche Analyse der Verbisssituation in deutschen Wäldern liefern und damit die Grundlage für einen konsequenten Weg zur Lösung des Wald-Wild-Konflikts bilden".
Der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) zeigt sich darüber verärgert und erstaunt, dass die Hauptadressaten - nämlich die Jäger - nicht im Vorfeld eingebunden worden sind. "Hier ist am Reißbrett etwas ausgeknobelt worden, das mit den Jägern, die es in die Praxis umsetzen sollen, mit keiner Silbe abgestimmt wurde", so Helmut Dammann-Tamke, Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen und zuständig im DJV-Präsidium für Forstpolitik. Unverständnis herrscht auf Seiten des DJV auch über viele einseitige Schlussfolgerungen und Lösungsansätze des Gutachtens. Jäger sehen sich als Vertragspartner der Grundeigentümer und nicht als Dienstleister oder Erfüllungsgehilfen für waldbauliche Prioritätensetzungen. Im Rahmen der bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen ist aus Sicht des DJV eine Eindämmung von Wildschäden regional umsetzbar.
Andere Aspekte, die zu Wildschaden im Wald führen können, wie die Beeinträchtigung der natürlichen Aktivitätsmuster des Wildes durch Lebensraumzerschneidung, Beunruhigung durch Waldbesucher, schneereiche Winter, das jahreszeitlich stark wechselnde Äsungsangebot in der Agrarlandschaft müssen neben der Höhe der Wildbestände in die Gesamtbetrachtung mit einbezogen werden.
Auch die vom DFWR, BfN und ANW sowie vom Naturschutzbund angeprangerte Verschwendung von öffentlichen Geldern für Einzäunungen stellt insbesondere an den Naturschutz viele Fragen. In erheblichem Maße werden innerhalb von Schutzgebieten und Nationalparken jagdliche Einschränkungen bzw. Jagdverbote in sogenannten Kernzonen ausgesprochen, so dass dann in der Peripherie entsprechende Wildschäden auftreten. Gleichzeitig wird aber jetzt von den Jägern gefordert, die Abschussquoten zu erhöhen. Diskrepanzen, die aus Sicht des DJV nicht unter einen Hut zu bringen sind.
Dammann-Tamke sieht das Hauptproblem von Wildschäden im Wald in erster Linie durch unterschiedliche Interessenslagen bedingt. Er pocht insbesondere auf den Schutz des Eigentums. Sowohl das Jagdrecht als auch das Eigentum an Waldflächen darf durch Vorgaben einer wie auch immer gearteten Forstpolitik nicht unterlaufen werden. Ein Waldeigentümer muss sich frei für die Entwicklung auf seinem Besitz sowohl im forstlichen als auch im jagdlichen Bereich entscheiden können, solange angrenzende Revierinhaber oder Waldbesitzer nicht beeinträchtigt werden.
Klarer Grundsatz des DJV ist und bleibt, dass nur eine Lebensgemeinschaft unter dem Motto "Wald und Wild" den unterschiedlichsten Anforderungen und Zielkonflikten entgegen kommen kann. Einseitige Eingriffe in das Ökosystem Wald auf Kosten der biologischen Vielfalt darf es nicht geben. Der DJV bietet allen beteiligten Verbänden an, konstruktiv und sachlich mit der Thematik umzugehen, die Ergebnisse des Gutachtens zu diskutieren und auch die vorhandenen Positivbeispiele, die es für einen naturnahen Waldumbau und darauf abgestimmtes Wildtiermanagement gibt, zu thematisieren. Einigkeit besteht darin, dass Probleme vor Ort revierbezogen diskutiert werden müssen. Ein runder Tisch zur sachgerechten Diskussion ist zielführender, als öffentliche Gutachten mit einseitigen Schuldzuweisungen.
Hallo,ich finde eure Seite spannend. Celia Sanders 11 Jahre