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Sumawa, Tschechien: Streit um BorkenkäferStichwörter: Protest Biodiversität Waldschutz

In Tschechien ist - wie Jahre zuvor schon im Nationalpark Bayerischer Wald - ein heftiger Streit um die richtige Reaktion auf einen Borkenkäfer-Befall im Böhmerwald-Nationalpark entbrannt. Nationalpark-Direktor Jan Strasky hatte nach seinem Amtsantritt im Februar dem Borkenkäfer sofort den Kampf angesagt. Umweltschützer fürchteten waldzerstörenden Aktionismus, tausende Bäume sollen schon zur Fällung markiert worden sein. Sieben Ex-Umweltminister warnten nun letzte Woche in einem offenen Brief vor einem Kahlschlag im Nationalpark, der an Bayern angrenzt. Das Fällen von Bäumen führe zur Bildung von Freiflächen, was negative Auswirkungen auf das Ökosystem habe, ermahnten sie ihren Amtsnachfolger Tomas Chalupa, der dem Nationalpark-Direktor durch ein entsprechendes Verbot noch die Freude am Sägen verderben könnte.

Der Umweltminister scheint inzwischen entschieden zu haben. Wie die Süddeutsche Zeitung vor Ostern noch berichtet (siehe unten), sollen die befallenen Bäume zwar gefällt werden, aber anschließend im Wald verbleiben. Gift soll demnach ebenfalls nicht zum Einsatz kommen ... die Borkenkäfer-Gegner werden dies höchstwahrscheinlich als vollkommen unzureichende Maßnahmen erachten, zumal der Hauptschwärmflug des Borkenkäfers kurz bevor steht.

Aber war es nicht so, dass man wenigstens in Nationalparks die Natur ihr eigenes Spiel spielen lassen wollte?

Notstand im Böhmerwald
Neuer Nationalparkleiter will den Borkenkäfer ohne Rücksicht auf das Ökosystem bekämpfen und löst heftigen Protest aus
Von Klaus Brill

Prag - Er ist nur ein kleines Biest, das Bäume beißt, doch er entfesselt große Leidenschaften. Der Borkenkäfer hat durch sein verheerendes Wirken im Böhmerwald einen Glaubenskrieg ausgelöst, der seit Wochen die tschechische Öffentlichkeit beschäftigt. Umweltschützer und Wissenschaftler sind gegen Forstleute und Politiker in Stellung gegangen, Denkschriften werden verfasst und Unterschriften gesammelt. Neben dem Borkenkäfer ist es dabei vor allem der neue Direktor des Nationalparks Böhmer-wald, der die Erregung auf sich zieht.

Der 70-jährige Jan Strasky, der früher Verkehrs- und Gesundheitsminister war und kurz von der Aufspaltung der Tsche-choslowakei 1993 auch eine Zeitlang die Regierung führte, kam erst vor zwei Mo-naten ins Amt. Ernannt wurde er vom Umweltminister Tomas Chalupa, ebenfalls ein Neuling, der wie Strasky der neoliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) angehört. Ihr Führer, Ministerpräsident Petr Necas, gilt ebenso wie der Umweltminister und der Nationalpark-Direktor als Verächter grün-ökologischer Konzepte. Infolgedessen wird offenbar im Umweltministerium eine Wende vorbereitet, die den Böhmerwald, von den Tschechen Sumava (die Rauschende) genannt, in vollem Umfang treffen könnte.

Wie im benachbarten Nationalpark Bayerischer Wald galt bisher auch im Nationalpark Sumava der Grundsatz, dass in einer Kernzone jeder Eingriff des Menschen unterbleiben solle. Entsprechend hatte 2007 der damalige Umweltminister, Martin Bursik, ein Grüner, verfügt, dass dem Borkenkäfer kein Einhalt geboten werden solle. Bursik setzte dabei auf die von Wissenschaftlern belegte Erkenntnis, dass die Natur sich nach einer Phase starker Schädigung von alleine wieder viel gründlicher regeneriert, als dies ein Mensch je planen könne.

Hingegen prüfen jetzt Strasky und der neue Umweltminister, ob man den Borkenkäfer bekämpfen sollte, indem man in bestimmten Zonen die befallenen Bäume schlägt, ehe sie zerfressen sind und nicht mehr verkauft werden können. So würde ein immenser wirtschaftlicher Schaden vermieden. Unterstützung findet diese Argumentation beim Verband der Waldbesitzer ebenso wie bei zahlreichen Kommunalpolitikern der im Nationalpark und an seinem Rand gelegenen Gemeinden, übrigens auch beim Staatspräsidenten, Vaclav Klaus, der als Grünen-Kritiker bekannt ist. Die Einwände der Wissenschaftler sind ihnen offenkundig lästig. Jedenfalls löste Nationalpark-Direktor Strasky kurzerhand die wissenschaftliche Abteilung des Nationalpark-Beirats auf und provozierte damit einen Sturm der Entrüstung.

Unter dem Namen SumavaPro gründete sich eine Initiative von 40 Umweltorganisationen sowie zahlreichen Experten und Persönlichkeiten, die im Internet Unterschriften gegen 'rücksichtslose Eingriffe' sammelt. Fachleute der Tschechischen Ökologischen Gesellschaft und des Umweltausschusses der Akademie der Wissenschaften schrieben zudem an Premierminister Necas und wiesen darauf hin, dass in den Kernzonen des Böhmerwalds die natürliche Regeneration schon einsetze und der Bestand der Borkenkäfer zurückgehe.

Straskys Vorschlag, im Böhmerwald den Notstand auszurufen, wird strikt abgelehnt. Seine Gegner befürchten, damit werde nicht nur der von der Holz-Lobby forcierte Einschlag der Bäume in einer bestimmten Zone wieder möglich, sondern auch der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Zudem steht die Frage im Raum, ob der geschützte Kernbereich nicht eingeschränkt und manches bisher noch der Natur überlassene Territorium für die Anlage von Skipisten oder gar für die Bebauung freigegeben werden sollen. Umweltminister Tomas Chalupa hat demnächst darüber zu entscheiden.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.90, Montag, den 18. April 2011 , Seite 59




Kompromiss im Böhmerwaldstreit
Umweltminister lässt Bäume fällen, verhängt aber strenge Auflagen

Prag - Trotz zahlreicher Proteste will der tschechische Umweltminister Tomás Chalupa in der innersten Schutzzone des Nationalparks Sumava (Böhmerwald) Bäume fällen lassen, die vom Borkenkäfer befallen sind. Allerdings gibt es dafür scharfe Auflagen. Nach monatelangen Auseinandersetzungen um diese Frage verkündete Chalupa am Gründonnerstag ein Konzept, das von Beobachtern als teilweises Entgegenkommen gegenüber den Naturschützern gewertet wurde. Deren weitergehende Forderung, wie im benachbarten Nationalpark Bayerischer Wald solle man den Borkenkäfer frei gewähren lassen, weil die Natur sich langfristig von selber wieder völlig verjünge, erfüllte der Minister allerdings nicht.

Immerhin verbot er jedoch, gegen die Plage mit giftigen Sprühmitteln vorzugehen oder bei der Baumfällaktion in der Kernzone des Naturschutzgebietes technische Großgeräte einzusetzen, die bleibende Schäden verursachen könnten. Nach Chalupas Anordnung dürfen in diesem Territorium die befallenen Bäume nur einzeln mit der Motorsäge gefällt, entrindet und entästet werden. Das Holz soll am Ort verbleiben und vermodern und damit dem natürlichen Kreislauf der Verjüngung erhalten bleiben.

Der Minister widersetzte sich damit den Plänen des neuen Nationalparkdirektors Jan Strasky, der für eine flächendeckende Bekämpfung des Borkenkäfers eingetreten war und dabei die Unterstützung umliegender Gemeinden und führender Politiker hatte. Der Verband der betreffenden Kommunen bezeichnete die Entscheidung jetzt als notwendigen Kompromiss. Ein Sprecher der Umweltbewegung Duha äußerte sich befriedigt, dass der Nationalparkdirektor seine weitergehenden Vorstellungen nicht habe durchsetzen können.

Wissenschaftler, die sich in die Debatte eingeschaltet hatten, sprachen von einem Schritt in die richtige Richtung. Der Vorgang berührt auch den benachbarten Nationalpark Bayerischer Wald, wo nach großflächigem Befall durch Borkenkäfer die natürliche Regeneration inzwischen große Fortschritte gemacht hat. Gleiches hatten die Naturschützer für den Böhmerwald propagiert.
Klaus Brill

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.94, Samstag, den 23. April 2011 , Seite 60

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