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UN-Bericht zu Artensterben: Der Mensch zerstört seine LebensgrundlagenStichwörter: Artenschwund Raubbau Landwirtschaft

Die Jüngeren unter uns kennen es nicht: Eine längere Autofahrt übers Land bedeutete an einem warmen Sommertag in den 1980er-Jahren garantiert eine Windschutzscheibe voller toter Insekten, die man mühsam und nur mit gutem Schwamm wieder runtergeschrubbt bekam. Warum ist das heute ganz anders? Die Zahl der fliegenden Insekten hierzulande ist seither massiv zurückgegangen. In den Sommermonaten sollen es mehr als 80 Prozent weniger Insekten sein ... und kaum einer nimmt diese Veränderung wirklich wahr.

Dabei hat sich nicht nur die Zahl der Insekten, die ihr Leben auf Windschutzscheiben aushauchen könnten, verändert. Es sind tausenden und vielleicht sogar Millionen Arten betroffen. Die Zerstörung der Natur hat mittlerweile auch lebensbedrohliche Ausmaße für die Menschen angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen rund 150 Wissenschaftler in ihrem Bericht an den Weltbiodiversitätsrat (IPBES), den sie nach drei Jahren Arbeit Anfang Mai in Paris vorstellten.

Von Korallenriffen über Flüsse und Wälder, Natur wird in einem Ausmaß zerstört wie nie zuvor in den letzten Jahrtausenden. Die Biomasse wild lebender Säugetiere ist um 82 Prozent zurückgegangen, zwei Drittel der Meere und über die Hälfte der Landökosysteme sind geschädigt. Rund eine Million Arten werden in den nächsten Jahren aussterben.

Und verantwortlich dafür ist nur der Mensch: Hauptgrund des Artenverlustes sind extreme Landnutzung für Viehzucht und den Anbau von Nahrungsmitteln, sowie die Überfischung der Meere.

Die Folge unseres Handelns lesen sich dann wie folgt: Zwei von fünf Amphibienarten stehen vor dem Aussterben, ebenso wie ein Drittel der Korallenarten sowie ein Drittel aller Meereslebewesen. Für Insekten ist das Bild nicht ganz so klar, aber die Schätzungen rechnen mit rund 10 Prozent der Insektenarten, die akut vom Aussterben bedroht sind.

Und was müssen wir jetzt machen? „Nur mit einem tiefgreifenden Wandel können wir die Natur noch erhalten, wiederherstellen und nachhaltig nutzen“, sagt Robert Watson, der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrats. Sein deutscher Kollege Josef Settele vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung fordert, dass die verschiedenen Bereiche in Politik und Wirtschaft „kooperativ“ zusammenarbeiten. „Wir müssen alles besser zusammenbringen, damit auch Subventionen nicht kontraproduktiv wirken.“

Sechs Szenarien haben die Wissenschaftler in ihrem Bericht entwickelt. Ein Überleben der Menschheit über die nächsten 100 Jahre hinaus sehen die Wissenschaftler nur in den drei nachhaltigen Szenarien, die einen tiefgreifenden Systemwechsel beeinhalten. Ein "Weiter so" kann es für uns nicht mehr geben.

DER MENSCH MACHT DER NATUR DEN GARAUS
Der erste globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats zeichnet ein finsteres Bild vom Zustand der biologischen Vielfalt auf der Erde: Es geht abwärts, und das immer schneller.

  • von Stephanie Kusma, 6.5.2019

680 Wirbeltierarten sind seit dem Jahr 1500 ausgestorben – aufgrund menschlicher Aktivitäten. Bis zu einer Million weitere Spezies von Tieren und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht, sie könnten teilweise bereits innert der nächsten Jahrzehnte verschwinden. Urbane Flächen haben sich seit 1992 mehr als verdoppelt, und jedes Jahr gelangen zwischen 300 und 400 Millionen Tonnen Schwermetalle, Lösungsmittel, giftige Rückstände und andere Abfälle aus Industrieanlagen ins Wasser. Global erreichen 80 Prozent der Abwässer ungereinigt die Natur, über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind verschwunden: Das sind nur einige der erschreckenden Zahlen, mit denen der erste globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES aufwartet.

Die Mitgliedsländer der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) haben ihn am Samstag bei ihrer Vollversammlung in Paris verabschiedet. Am Montag wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt. Über 400 Fachleute trugen ihr Wissen dazu bei, Änderungen der Biodiversität über die letzten 50 Jahre zu untersuchen. Ziel ist es, den aktuellen Stand des politikrelevanten Wissens über die biologische Vielfalt auf der Erde und deren Leistungen für den Menschen, materielle wie immaterielle, bereitzustellen. Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild. «Die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und jene der Ökosysteme nimmt rasch ab, ebenso wie viele fundamentale Leistungen, die wir von der Natur beziehen», fasst Sandra Díaz von der Universidad Nacional de Córdoba in Argentinien einige seiner Kernaussagen zusammen. «Unser Sicherheitsnetz ist fast zum Zerreissen gespannt.»

Denn der Mensch nutzt die Natur auf vielfältige Weise. Zu den sogenannten Ökosystemdienstleistungen gehören beispielsweise die Bestäubung von Nahrungspflanzen durch Insekten, die Regulation der Wasserqualität oder die biologische Schädlingsbekämpfung. Im Rahmen des Berichts werteten Forscher über 2000 Studien zu solchen Leistungen aus und fanden, dass von 18 analysierten Ökosystemdienstleistungen 14 zurückgehen – auch die genannten. Die Degradation der Böden wiederum hat auf 23 Prozent der Landoberfläche die Produktivität reduziert.

Doch der Bericht dokumentiert nicht nur die Verluste, er zeigt auch ihre Treiber auf – und sie gehen alle auf den Menschen zurück. Die stärksten Auswirkungen auf die Biodiversität haben demnach Änderungen in der Nutzung von Land und Ozeanen. Ersteres primär in Form von Land-, Forstwirtschaft und Urbanisierung. Dadurch verschwanden allein zwischen den Jahren 1980 und 2000 beispielsweise 100 Millionen Hektaren an tropischem Regenwald, einem der artenreichsten Lebensräume der Erde. Das entspricht etwa der doppelten Landesfläche Spaniens.

Gut 42 Millionen davon fielen in Lateinamerika der Rinderhaltung zum Opfer, ein mit 7,5 Millionen Hektaren kleinerer Anteil musste in Südostasien Plantagen weichen, vor allem für Palmöl. Über ein Drittel der Landfläche der Erde dient heute der Produktion von Feldfrüchten und Tieren, wie es im Bericht heisst.

Nach den Nutzungsänderungen hat die direkte Ausbeutung von Organismen den stärksten Einfluss auf die Biodiversität. Der Rote Thun zum Beispiel ist wegen Überfischung vom Aussterben bedroht; vor der Küste Mexikos fällt ein kleiner Wal, der Vaquita, zurzeit dem illegalen Fang von Totoabas zum Opfer, einem für seine Schwimmblase begehrten Fischs. Als weitere wichtige Einflüsse folgen der Klimawandel, die Umweltverschmutzung und invasive Arten. Ein berühmtes Beispiel ist hier die Braune Nachtbaumnatter, die in den 1940er Jahren nach Guam verschleppt wurde: Sie frisst die Tierwelt der westpazifische Insel förmlich auf. Unter anderem ist seither über die Hälfte der heimischen Vögel- und Eidechsenarten von der Insel verschwunden.

Ziele nicht erreicht

Und noch immer geschieht zu wenig, um die Verluste zu stoppen: Von den 20 Aichi-Biodiversitätszielen, die 2010 in Nagoya im Rahmen des «Strategische Plans für Biodiversität» beschlossen wurden, sind nur vier auf einem guten Weg – und sie alle finden primär auf dem Papier statt: Beispielsweise werden nationale Biodiversitätsstrategien entwickelt. Das Ziel, dass sie bis 2020 global als politische Instrumente angenommen und implementiert sind, wird nicht erreicht werden: Der Biodiversitätsverlust geht nicht nur weiter, sondern das Artensterben beschleunigt sich demnach sogar. Auch in Bezug auf andere Nachhaltigkeitsziele, etwa jene der Uno, genügen die Fortschritte wegen unseres Umgangs mit der Natur zurzeit nicht.

Das wird sich laut dem Bericht auch nur dann ändern, wenn der Schutz der Biodiversität priorisiert und über alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft integriert wird: Die Forschenden werteten eine ganze Reihe von Untersuchungen aus, die den Biodiversitätsverlust und die Ökosystemleistungen jeweils unter verschiedenen zukünftigen Entwicklungsszenarien modellierten. Stoppen liesse er sich demnach nur unter einer proaktiven Umweltpolitik, wenn Produktion und Konsum nachhaltig wären und wenig Treibhausgase freigesetzt wurden. «Business as usual» ist dabei bei Weitem nicht genug, wie Markus Fischer von der Universität Bern betont, der Mitglied im IPBES-Expertenrat ist. Es braucht, so das Fazit der Fachleute, einen grundlegenden Wandel in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um Biodiversität und die Leistungen der Natur für den Menschen – und damit unsere Zukunft – zu sichern.

Und das ist die positive Botschaft des Berichts: Der Verlust lässt sich noch stoppen. Die Fachleute nennen eine ganze Reihe von Handlungsmöglichkeiten. Sie reichen von der Berücksichtigung von Biodiversitätsauswirkungen in wirtschaftlichen Bilanzierungen über das Überdenken von Subventionen und Steuern bis hin zur Entkoppelung der Idee eines guten und bedeutsamen Lebens von einem ständig steigenden materiellen Konsum.

Quelle: https://www.nzz.ch/wissenschaft/biodiversitaet-der-mensch-macht-der-natur-den-garaus-ld.1479623

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