Oberster Gerichtshof bestätigt das Indianergebiet Raposa Serra do SolStichwörter: Landrecht Indigene Brasilien
Am 19. März 2009 bestätigte der Oberste Gerichtshof in Brasilia die Rechtsgültigkeit des indigenen Gebietes Raposa Serra do Sol im Norden des Landes, nachdem einige Senatoren, der Bundesstaat Roraima und Reisproduzenten vor über einem Jahr Einspruch gegen das administrative Verfahren vor der Landrechtsvergabe im Jahr 2005 erhoben hatten. Durch die neue Entscheidung wurde das Gutachten annulliert, das eine Operation der Bundespolizei zum Abzug der nichtindigenen Besetzer im April 2008 gestoppt hatte. Nun müssen auch die letzten Reisbauern und sonstigen Invasoren ihre Höfe und Felder verlassen und das Gebiet räumen.
Die Urteilsverkündung löste bei den nach Brasilia gereisten Beobachtern großen Jubel aus und beim Indianerrat von Roraima CIR, einer langjährigen Partnerorganisation von Pro REGENWALD, war man sehr erleichtert. "Das war ein wirklicher Sieg für die Menschen von Raposa Serra do Sol", sagte Dionito José de Souza, der Koordinator des CIR. "Wir kämpfen dafür, allen Indigenen Völkern in Brasilien die selben Rechte zu sichern."
Das Urteil schließt einen 34 Jahre lang dauernde Kampf um das Landrecht mit einem großen Sieg für die indianischen Ureinwohner ab, der bei all den Winkelzügen seitens der Invasoren sehr großes Durchhaltevermögen und auch große Leidensfähigkeit benötigte. Zehn der elf an der Entscheidung involvierten Minister befanden das administrative Verfahren korrekt, das 2005 zur Homologation von 1,7 Millionen Hektar als indigenes Territorium führte. Das Gebiet ist wieder ausschließlich Lebens- und Wirtschaftsraum von rund 18.000 Indianern der Völker Ingarikó, Makuxi, Taurepang, Patamona und Wapichana.
Ganz uneingeschränkt ist die Freude allerdings nicht: Das Oberste Gericht verknüpfte die Anerkennung des indigenen Territoriums mit 19 Bedingungen für die Demarkierung eines indigenen Gebietes im Land, welche in Zukunft noch Sorgen bereiten könnten. Die Regelung seitens des Obersten Gerichts „sind im Kontext der Beschränkung der Rechte indigener Völker, traditioneller Gemeinschaften und anderer Gruppen aufgrund der Ausdehnung des Interesses des privaten Kapitals auf dem Land zu verstehen" warnt die kirchliche Indianerunterstützungorganisation CIMI. Demnach könne es als Folge zu Konflikten bei der legitimen Verteidigung von Landbesitz durch indigene Völker und Gemeinschaften kommen.
Die Bedingungen hat Minister Menezes Direito am 10.12.2008 vorgeschlagen. Am 18.12.2008 fügte Celso de Mello eine weitere Bedingung hinzu. Der Berichterstatter Ayres Britto schloss sich den Bedingungen an, außer dem Text über die Revision der Grenzen indigener Gebiete. Zustimmung für den Vorschlag von Britto gab es auch von den Ministern Eros Grau und Carmem Lúcia. Alle anderen Minister, außer Joaquim Barbosa, haben die Bedingungen angenommen. Er stimmte keiner Bedingung zu, da die Inhalte beim Verfahren nicht diskutiert wurden.
Pro REGENWALD arbeitet seit über 10 Jahren mit dem CIR für die Indianerrechte in Roraima und für die Demarkierung von Raposa Serra do Sol. Diese Zusammenarbeit wird sich in naher Zukunft insbesondere der Umsetzung des Urteils des Oberstent Gerichtshofes annehmen.
Weitere Information:
Conselho Indígena de Roraima – CIR (in portugiesisch)
Riesenerfolg in Brasilien, Newsletter 22, 2005 download, pdf, 300 kB
Aus, Süddeutsche Zeitung, 21. März 2009
Gericht stärkt Rechte von Brasiliens Ureinwohnern
Grundsatzurteil gegen gewaltsame Landnahme und Raubbau / Farmer müssen Indio-Reservat räumen
Von Sebastian Schoepp
München - Roraima ist einer der am dünnsten besiedelten Bundesstaaten Brasiliens im wilden Grenzland zu Venezuela und Guyana. Ausgerechnet in dieser entlegenen Region haben Ureinwohner einen Sieg im Kampf um Landrechte errungen, der die Situation der indigenen Bevölkerung in ganz Brasilien verändern könnte. Das Oberste Gericht Brasiliens entschied am Donnerstag, dass das Reservat Raposa/Serra do Sol den dort lebenden Ethnien gehört. Eingewanderte Farmer, die Reis anbauen, Rinder züchten und Wald roden, müssten es sofort verlassen. Dies sei ein Präzedenzfall, sagte der Oberste Richter Gilmar Mendes.
Indigene Gruppen im ganzen Land feierten das Urteil - ebenso wie internationale Menschenrechts- und Umweltinitiativen. Die Indigenen hätten lange und beharrlich gekämpft, das könne zum Vorbild für ganz Brasilien werden, sagt Hermann Edelmann von Pro Regenwald in München. Denn bislang habe die Regierung den Belangen von Umwelt und Ureinwohnern keine Priorität eingeräumt.
In diesem Sinne argumentierte auch das Gericht: Zwar hatte Präsident Luiz Inázio Lula da Silva den Indigenen das Reservat 2005 per Dekret zugesprochen, um die Durchsetzung habe er sich jedoch nie gekümmert. Die Folge waren Kämpfe zwischen Farmern und Ureinwohnern, bei denen es Tote und Verletzte gab. In den Anwesen weißer Grundbesitzer wurden Waffenarsenale sichergestellt.
In vielen entlegenen Gegenden Brasiliens herrscht faktisch Faustrecht, die Landnahme verläuft äußerst aggressiv. Die Regierung habe die Indigenen sich selbst überlassen, kritisierte Richter Mendes laut BBC. Sie habe ihre Verantwortung komplett vernachlässigt. Nur einer von zehn Richtern argumentierte anders. Marco Aurelio Mello sagte, Reservate wie Raposa schafften eine Apartheid zwischen Weißen und Indigenen.
Indigene müssen sich in ganz Lateinamerika gegen Farmer und Konzerne wehren, die ihre Territorien besetzen, Wald roden, Soja anbauen oder Öl suchen. Im Nachbarland Peru war es vor einem Jahr zu Krawallen und Streiks gekommen. Daraufhin nahm die Regierung ein Gesetz zurück, welches das Landrecht der Indigenen einschränkte. In Bolivien regiert Präsident Evo Morales vom Volk der Aymara, der die Rechte der Indigenen sogar in der Verfassung verankert hat. Allerdings hat das auch zu Auswüchsen und Angriffen auf Mestizen geführt.
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.67, Samstag, den 21. März 2009 , Seite 8