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Mord im Amazonasgebiet: Journalist & Indigenen-Experte umgebrachtStichwörter: AktivistInnen unter Druck Indigene Brasilien Protest


Dom Phillips
Auch wir sind - wie viele andere in Brasilien oder sonstwo auf der Welt -erschüttert über den Mord an dem britischen Journalisten Dom Phillips und dem Indigenen-Experten Bruno Pereira, zu dem es Anfang Juni im Amazonas-Regenwald nahe der brasilianisch-peruanischen Grenze im nördlichen Bundesstaat Amazonas gekommen ist. Die Leichen der beiden wurden Mitte Juni gefunden, nachdem es zunächst einen Aufschrei wegen der Untätigkeit der Bundesregierung nach dem Verschwinden der beiden gegeben hat und indigene Suchtrupps viel aktiver waren.

Die Ermordung von Dom Phillips und Bruno Pereira steht sinnbildlich für die Misere von Journalisten und UmweltaktivistInnen in vielen Regionen weltweit.


Bruno Pereira
Die Forderung nach mehr Schutz für solche KämpferInnen gegen Umweltzerstörung oder Umweltverbrechen verpufft in Gesellschaften, in denen Korruption und Gewaltverbrechen geduldete oder gar geförderte Elemente des politischen und wirtschaftlichen Tagesgeschäfts sind. Dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro wird vorgeworfen, eine solche Stimmung der illegalen Inbesitznahme zu dulden, wenn nicht sie gar zu befördern.

Es folgt ein Kommentar der brasilianischen Journalistin Karla Mendes, die in den vergangenen Jahren mit den beiden Ermordeten gelegentlich gearbeitet hatte .. der Kommentar ist eine Übersetzung eines auf Mongabay.com veröffentlichten Textes.



Kommentar, Karla Mendes

Seit ich vor sechs Jahren Umweltjournalistin geworden bin, haben mich meine Familie, Freunde und Bekannte alle als "verrückt" bezeichnet. Warum eigentlich? Weil sie extrem verängstigt waren, nachdem sie meine Artikel gelesen und meine Erfahrungsberichte über die investigative Berichterstattung im brasilianischen Amazonasgebiet gehört hatten.

Die Frage, die ich seither immer wieder gehört habe, war: "Hast du keine Angst vor der Arbeit, die du machst?" Bis zum 5. Juni habe ich automatisch geantwortet: "Nein."

Aber jetzt habe ich Angst. Ich fühle mich zerstört, wütend und traurig.

Journalisten in Brasilien und auf der ganzen Welt sind erschüttert - und verängstigt - über das tragische Ergebnis einer zehntägigen Suche nach dem britischen Journalisten Dom Phillips und dem indigenen Anwalt Bruno Pereira im Amazonas-Regenwald nahe der brasilianisch-peruanischen Grenze im nördlichen Bundesstaat Amazonas. Die vermeintlichen Leichen der beiden wurden am 15. Juni gefunden, nachdem es einen großen Aufschrei gegen die Untätigkeit der Bundesregierung nach dem Verschwinden der beiden gegeben hatte. Indigene Patrouillen führten mutig ihre eigene Suche durch, während die Regierung wenig unternahm.

Dom und Bruno waren am 5. Juni auf der Rückreise von einem Besuch in einem indigenen Gebiet im Tal des Javari-Flusses verschwunden. In der Region leben etwa 6.000 Indigene, darunter einige der letzten Gruppen, die freiwillig von der Außenwelt isoliert leben. Das Gebiet ist in letzter Zeit als eines der "gefährlichsten" in Brasilien bekannt geworden, da illegale Landbesetzer, Drogenhändler, Bergleute, Holzfäller und Fischer immer wieder Gewalt gegen die indigene Bevölkerung ausüben.

Ich war vollkommen schockiert, als ich die Nachricht über ihr Verschwinden am 6. Juni las. Innerhalb weniger Minuten erhielt ich Dutzende von Anfragen von besorgten Freunden. "Kennst du sie, Karla?" "Ich mache mir Sorgen um dich, meine Freundin" "Als ich diese Nachricht las, musste ich an dich denken!" "Ich bin so froh, dass du in Rio bist, gut und sicher!"

In meinem Kopf begann sich ein Film abzuspielen mit mehreren riskanten Situationen, denen ich mich als Reporterin im Amazonasgebiet ausgesetzt hatte. Die allererste ereignete sich vor fünf Jahren, als ein kanadischer Journalist und ich in einem Boot mit garimpeiros (Goldgräbern) auf dem Madeira-Fluss im nördlichen Bundesstaat Rondônia unterwegs waren, um Kähne und Bagger für eine Reportage über illegalen Goldabbau zu besuchen. Anfang 2019 hörten ein englischer Dokumentarfilmer und ich auf dem Rückweg von einer Reportage im indigenen Reservat Arariboia im nordöstlichen Bundesstaat Maranhão, das als eines der am stärksten bedrohten indigenen Gebiete gilt, Schüsse. Ende desselben Jahres verfolgten zwei Motorräder mich und mein Reportageteam auf dem Rückweg aus dem Indigenenreservat Tembé im Norden des Bundesstaates Pará, wo ich eine Recherche über Palmöl durchführte. Dies sind nur einige persönliche Erfahrungen - ich habe viele ähnliche Berichte von anderen Reportern, Fotografen und Filmemachern gehört.

Von diesem Augenblick an war ein Gedanke in meinem Kopf: "Was Dom und Bruno passiert ist, hätte jedem von uns passieren können."

Seit diesem Tag habe ich nicht mehr gut geschlafen. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und habe an Dom und Bruno gedacht, aber auch an die Zukunft der Umweltberichterstattung.

Ich kannte Dom und Bruno, die für ihre Arbeit bewundert wurden. Dom war einer der ersten internationalen Korrespondenten, die ich in Rio kennenlernte, als ich anfing, für ausländische Medien zu arbeiten und zu einer monatlichen Happy Hour der Korrespondenten in der Stadt zu gehen. Er war immer sehr nett und ein interessanter und engagierter Gesprächspartner.

Ich lernte Bruno Anfang 2019 in Brasília kennen, als er bei FUNAI, der brasilianischen Behörde für indigene Angelegenheiten, für einzelne indigene Gruppen zuständig war. Zu dieser Zeit war ich Co-Regisseur und Co-Produzent eines Dokumentarfilms über die Wächter des Waldes, eine Gruppe von Guajajara-Indigenen, die ihr Leben riskieren, um ihr Reservat in Arariboia vor illegalen Holzfällern zu schützen und auch um die isolierten Awá-Indigenen zu schützen, die im selben Gebiet leben. Dom hat 2015 eine großartige Geschichte über die Guardians gemacht und ich erinnere mich, dass er mir zu dem Dokumentarfilm gratuliert hat, der drei internationale Preise gewonnen hat.

Im November 2019 wurde Paulo Paulino Guajajara, einer der Wächter aus dem Dokumentarfilm, im Reservat Arariboia brutal ermordet, angeblich von illegalen Holzfällern. Ich erinnere mich noch genau daran, wie erschüttert ich mehrere Monate lang war und nicht schlafen konnte, als ich an Paulo und seine Familie sowie an Laércio Guajajara, den Wächter, der dem Überfall entkommen konnte, denken musste. Bisher wurde niemand für diese Verbrechen angeklagt.

Drei Jahre später ist Bruno jetzt der zweite Interviewpartner, der in dem Dokumentarfilm vorkommt und inzwischen ermordet wurde. Und er war eng mit Dom verbunden, der ebenfalls über die Wächter berichtete. Das kommt mir erst jetzt in den Sinn, während ich diese Zeilen schreibe. Ich sehe jetzt eine tragische Verbindung zwischen den drei Morden: Sie waren alle Krieger und Wächter des Waldes.

Die Morde an Dom, Bruno und Paulo stehen sinnbildlich für die Misere von Journalisten in ganz Lateinamerika, in Zeiten da die Gewalt gegen Journalisten und Aktivisten in der Region eskaliert. Die Morde sind auch eine Warnung an uns Reporter, die wir mehr Schutz bräuchten, wenn wir über Umweltverbrechen berichten.

Aber diese Verbrechen werden uns nicht aufhalten: Die Aufdeckung von Missständen in den bedrohten Biomen Brasiliens - von der Mata Atlantica über den Cerrado bis zum Amazonas - ist jetzt notwendiger denn je. Doch nach diesen Morden wird es schwieriger als je zuvor, unsere Arbeit zu erledigen: Abgesehen von der Straffreiheit, mit der diese Mörder agieren, werden die meisten Nachrichtenagenturen wahrscheinlich strengere Risikobewertungen für die Berichterstattung vor Ort einführen, um Mitarbeiter und freie Mitarbeiter zu schützen.

Gleichzeitig wurde die Forderung nach Strafverfolgung und Gerechtigkeit für den Mord an Bruno und Dom zu einem Thema für uns alle. Aus diesem Grund hat Mongabay zusammen mit Dutzenden von Medien einen Brief an die brasilianische Regierung unterzeichnet, in dem sofortige Maßnahmen zur Suche von Bruno und Dom am 8. Juni gefordert werden.

Die Verteidigung des Amazonas und der Umwelt ist kein "Abenteuer", wie es Präsident Jair Bolsonaro in seinen ersten Äußerungen zum Verschwinden von Bruno und Dom abtat. Ein Umweltjournalist zu sein, ist eine Mission: Ein Kampf für eine bessere Welt für künftige Generationen.

Unser Kampf gilt nicht nur dem Planeten, sondern auch dem Andenken an alle, die vor uns gefallen sind und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Trotzdem sie in unerträglicher Trauer sein müssen, brachten es Alessandra Sampaio und Beatriz Matos, die Ehefrauen von Dom bzw. Bruno, auf den Punkt:

"Heute beginnen auch wir mit unserer Suche nach Gerechtigkeit. Ich hoffe, dass die Ermittlungen alle Möglichkeiten ausschöpfen und so bald wie möglich endgültige Antworten auf alle relevanten Details liefern", sagte Alessandra Sampaio, Doms Ehefrau, in einer Erklärung. "Wir werden nur dann Frieden haben, wenn die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, damit sich Tragödien wie diese nie wieder ereignen."

"Jetzt, wo Brunos Geist durch den Wald streift und mit uns ist, sind auch wir viel stärker", tweetete Beatriz Matos, Brunos Frau.

Quelle: https://news.mongabay.com/2022/06/the-war-on-journalists-and-environmental-defenders-in-the-amazon-continues-commentary/ Übersetzung: Pro REGENWALD, he.



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