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Geradeaus auf dem Weg zum globalen Desaster
Werden Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft ihrer Verantwortung noch gerecht?
Stichwörter: Klimawandel Politik Wirtschaft Raubbau

Der Klimawandel und die drohenden Folgeerscheinungen desselben sind in aller Munde. Viel mehr nicht. Doch Lippenbekenntnisse allein helfen nicht, wo eigentlich entschlossenes Handeln erforderlich wäre. Das jedenfalls meinte Achim Steiner, Chef der UN-Umweltorganisation UNEP, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vor wenigen Tagen (siehe "Die reiche Welt hat viel gutzumachen").

Dass es langsam eng wird, daran sollte auch eine Frau Merkel (Bundeskanzlerin), der Herr Guttenberg (Wirtschaftsminister) und ein Herr Westerwelle (Vertreter des potentiellen Juniorpartners FDP) keinen Zweifel mehr haben. Nicht nur spinnerte Umweltschützer drängen zum Handeln, auch der UNEP-Chef Steiner gibt sich ungeduldig

SZ: Wie viel Zeit bleibt zum Handeln?

Steiner: Sie rinnt uns wie Sand durch die Finger. Der Globus heizt sich Tag für Tag auf. Schon jetzt lässt sich nur noch beeinflussen, wie gravierend der Klimawandel wird. Eine Erwärmung um fast ein Grad ist nicht mehr zu verhindern. Historiker werden uns eines Tages daran messen, ob wir jetzt die Zukunft der Menschheit aufs Spiel setzen. Vielleicht werden sich unsere Enkelkinder fragen: Wie konnte eine Generation, die das Wissen, die Möglichkeit, die Mittel und die Technik hatte, einfach nicht handeln?

SZ: Was wäre die Konsequenz?

Steiner: Die Szenarien sind nur schwer vorstellbar: Ganze Ökosysteme können kollabieren, steigende Meeresspiegel Städte und Häfen bedrohen. Wenn Gletscher im Himalaja abschmelzen, gefährdet das die Lebensgrundlage von Hunderten Millionen Menschen. Viele Arten werden aussterben, Krankheiten wie Malaria verändern ihr Erscheinungsbild und breiten sich rascher aus. In Südeuropa und Afrika drohen verheerende Dürren, in Nordeuropa starke Niederschläge und Stürme.

SZ: Der Raubbau geht ungebremst weiter. Noch immer steigen die Emissionen, statt zu sinken. Allein während dieses Interviews werden tausend Hektar Regenwald abgeholzt. Warum wirken Ihre dramatischen Appelle nicht?

Steiner: Nicht nur die Appelle, sondern auch die Ergebnisse der Wissenschaft beginnen sehr wohl in der Öffentlichkeit zu wirken, aber die politische Bereitschaft zu handeln ist zu schwach. Vielleicht, weil sich die Gefahren schleichend nähern, nicht wie bei der Finanzkrise mit einem Paukenschlag. Dabei sind die ökonomischen Risiken noch größer: Klimawandel und Armut könnten zu Flüchtlingsströmen bislang unbekannten Ausmaßes führen. Wir werden erleben, dass Gesellschaften 20 oder 30 Millionen Menschen umsiedeln müssen. Es drohen Milliardenschäden und Instabilitäten, vor denen sich kein Land schützen kann.

Vielleicht sollte man sie davonjagen, unsere Politiker, die nicht wirklich handeln und den Karren immer weiter in den Klimadreck fahren? Oder wenigstens abwählen, im September hätten wir Gelegenheit dazu. Aber was wäre die Alternative? Könnten Grüne und die ÖdP das Ruder herumreissen? Sich mit den Wirtschaftsbossen erfolgreich auseinandersetzen und sie von der neuen Prioritätensetzung überzeugen. Menschen wie diesen hier (Vorstand BDI) oder jenen (Präsidium BDI)?

Man könnte es mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie halten, der in Schönwetter-Demokraten, Zeit Nr.31 die schwächelnde Performance von Pionieren nachhaltigen Wirtschaftens beklagt.

In allen politischen Lagern gibt es Kräfte, die eine postkarbone, nicht mehr auf der Verbrennung fossiler Rohstoffe beruhende Welt anstreben und damit nebenbei auch die unselige Abhängigkeit von Ölscheichtümern und Gasmagnaten beenden möchten, ohne zur Atomenergie zurückzukehren. Aber es gibt derzeit in Europa keine politische Koalition, die sich zu Pionieren nachhaltigen Wirtschaftens macht. Dass viele Bürger verändert leben, blieb bislang trotz der grünen Parteien ohne politische Umsetzung, die praktische Konsumkritik nachdenklich gewordener Verbraucher zündete politisch nicht, auch die Verbraucherverbände sind schlafende Riesen.

Wenn man Leggewie weiterliest, dann möchte man laut aufschreien: "Die Zeit wird nicht ausreichen ... wir können nicht auf die ökologische/soziale Evolution unserer Gesellschaftsverhältnisse warten!"

Und was, wenn unser System auch keine lebendige Demokratie sein sollte?

Lebendige Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie neue Konfliktlinien in der Gesellschaft erkennen, dass sie Agenten des Wandels politisch repräsentieren. Wenn diese Gelegenheit verstreicht, gewinnen postdemokratische Akteure Oberwasser, wie sie zum Beispiel in der Schweiz nicht zufällig als kompromisslose Autolobby auftreten.

Berufspolitiker und Experten wären im Irrtum, wenn sie das Volk in der Klimapolitik für ein Hindernis halten würden. Klimapolitik – das sind Gebote und Verbote, technische Großprojekte und auch Katastrophenschutz – kann nicht par ordre du mufti verordnet werden. Neben grundstürzenden Veränderungen des Alltagsbewusstseins erfordert sie die »Weisheit der vielen«, also eine neue politische Kultur der Teilhabe. Das Verursacherprinzip beim Klimawandel muss so gewendet werden, dass eine aktive Bürgerschaft auch bei der Bewältigung des Problems demokratisch mitwirken kann.

Umgekehrt gilt das genauso: Der Souverän darf nicht fordern, Herr Gabriel und sein amerikanischer Kollege Mister Chu sollten im Dezember in Kopenhagen einen vernünftigen Weltklimavertrag aushandeln, dann werde schon alles gut. Staatliche Regulierung, Marktanreize, alternative Technologien sind nicht alles. Das Projekt einer klimaverträglichen Gesellschaft muss kulturell eingebettet werden.

Für eine aktivierende Klimapolitik heißt das: Erst wenn sich die Bürger als aktive Gestalter ihres Gemeinwesens verstehen, ändern sich Lebensstile und entwickeln sich Handlungsoptionen. Und wenn, wie von der G8 in L’Aquila beschlossen, die Erderwärmung tatsächlich auf zwei Grad begrenzt werden soll, leitet das eine echte Kulturrevolution ein.

Dazu gehört der Mut zu identitätsstiftenden Utopien. Und da besteht kein Grund zur Resignation. Der ökologische Bewusstseinswandel hat in den reichen Demokratien vor vierzig Jahren begonnen, seitdem haben sich weltweit strategische Netzwerke formiert, die längst eine kritische Masse bilden.

Nun gut, halten wir weiter Ausschau nach identitätsstiftenden Utopien und Menschen & Gruppen, die sich solche ausdenken, sie ausprobieren und sie weiterentwickeln.

Bis dahin werden Klimakonferenzen, wie die im Dezember in Kopenhagen stattfindende, wohl weiter scheitern, sich Industrie-, Schwellen-, und Entwicklungsländer weiterhin um Emissionspotentiale und -mengen streiten und Klimaschutzmaßnahmen deutlich unter den ohnehin schon zu gering angesetzten Zielwerten bleiben.

Das zeichnet sich jedenfalls nach der auf ganzer Linie erfolglosen Klimakonferenz letzte Woche in Bonn ab. Die Berichterstattung darüber titelte u.a. "Weg zum globalen Desaster" - Klimakonferenz vor Scheitern oder Blockade bei UN-Klimakonferenz - Warnung vor dem Desaster.

Links:
Schönwetter-Demokraten, Leggewie
"Die reiche Welt hat viel gutzumachen", Interview Steiner

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